Film: „Eine Frau mit dem Ego eines Mannes“

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Der Texaner Lawrence Tooley über sein deutsch-österreichisches Spielfilmdebüt, „Headshots“, und dessen ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Von Paris Hilton und Margaret Thatcher zu unabhängigem Kino.

Die Presse: Ihr Spielfilmdebüt „Headshots“ handelt von einer Fotografin, gespielt von der Wienerin Loretta Pflaum. Als sie schwanger wird, hinterfragt sie ihr Leben in der oberflächlichen Kreativszene Berlins. Der Film ist ungewöhnlich erzählt, aus der subjektiven Perspektive der Hauptfigur, mit plötzlichen Zeitsprüngen und Einschüben. Wie kam es zu dem Projekt?

Lawrence Tooley: Es ging damit los, dass ich Loretta fragte, was sie gern spielen würde. Ohne nachzudenken antwortete sie: „Ich hätte gern eine Rolle als Frau, die das Ego eines Mannes hat.“ Das war der erste Satz. Dann haben wir überlegt: Was heißt das eigentlich – eine Frau mit dem Ego eines Mannes? Paris Hilton? Margaret Thatcher? Aber Loretta meinte auch etwas anderes: Sie wollte eine richtige Filmfigur spielen, doch nicht in der Art, wie sie meist besetzt wird, als Femme fatale. Sie spielt ja ständig Mörderinnen, gefährlich und sexy – aber irgendwann auch langweilig für sie. Sie wollte machen, was im Kino üblicherweise die Männer tun. Also viele Liebhaber haben, hin und wieder betrügen, aber auf eine charmante Art. Und im Innern der Figur sind eine Melancholie, ein Selbstzweifel und Weltschmerz, den die Frauen im Kino nie haben dürfen. Die dürfen meistens nur Sexobjekte sein.

Das Drehbuch schrieben Sie dann zusammen?

Wir entwarfen gemeinsam eine Skizze der Story, wobei das Szenische meistens von mir kam. Allerdings wäre das ohne Loretta nicht denkbar gewesen: Sie ist eine echte Method-Schauspielerin, eine der wenigen, die ich kenne, die aus dieser Schule kommen und das wirklich konsequent betreiben. Das ist natürlich eine geniale Sache, wenn es um ein filmisches Porträt geht. Ich konnte sagen: „Schau, ich hab den Blödsinn hier geschrieben. Was würde die Figur wirklich machen?“

Auch die Produktionsgeschichte des Films ist unüblich: Er entstand ohne Förderung. Gedreht wurde in Tranchen, die Nebenrollen übernahmen Freunde oder Kollegen wie Karlheinz Hackl.

Wir drehten in sechs Blöcken, insgesamt 30 Drehtage, das ist relativ normal. An manchen Tagen drehten wir aber nur vier Stunden, jeweils Szenen mit einem bestimmten Schauspieler. Wenn die Leute nicht umsonst mitgemacht hätten, wäre der Film nicht entstanden. So würde ich am liebsten immer arbeiten: mit Freunden. Beim nächsten Film möchte ich denen aber auch Gagen zahlen können, schon, weil sie es verdienen. Jemand wie Karlheinz Hackl ist ein absoluter Glücksfall: einfach ein genialer Darsteller!

Haben Sie denn zwischen diesen verschiedenen Drehphasen noch viel am Buch geändert?

Nach dem ersten Drehblock schrieb ich es ein wenig um. Aber die Idee, durch die Zeit zu springen, war von vornherein da: Ich wusste, ich würde stückweise drehen müssen, also brauchte ich einen Zugang, der das erlaubt. So entwickelte ich ein Konzept, bei dem es eben egal ist, wenn ein Typ plötzlich ein Jahr älter ausschaut, ich nicht auf die Anschlüsse achten muss oder ich vor demselben Hintergrund eine Szene im Winter drehen kann und eine im Sommer. Das geht bei „Headshots“ auch, weil man merkt, dass die Desorientierung des Films derjenigen der Hauptfigur entspricht: Wenn sie keinen Anschluss hat, warum soll ihn der Zuschauer haben? Man geht entweder mit oder nicht – in den ersten zehn Minuten wird ja auch praktisch dargelegt, wie wir erzählen wollen. Die meisten Leute haben da kein Problem, Kritik kam mehr von konventionellen jungen Filmstudenten. Und in Deutschland begriffen Journalisten die Zeitverschiebung nicht und hielten alles für Anschlussfehler: „Haben die auf einmal die Wohnung getauscht?“

„Headshots“ sieht man an, dass er in jeder Sicht unabhängig entstanden ist. Das ist fern vom Förderkino. Lehnen Sie Filmförderung prinzipiell ab?

Nein, man muss alles probieren. Aber ich will kein schwächeres Produkt abliefern! In Deutschland brauchst du einen starken Produzenten und die richtige Mischung von Fördergremien. Früher drehte man ein, zwei Filme im Jahr ohne Förderung, mitunter Meisterwerke! Heute dauert die Finanzierung Jahre. Ich finde die Idee von Förderkino schon richtig – nur nicht, wie sie oft angewendet wird: Es werden zu viele Filme gefördert, oft aus falschen Gründen. In meinem Film wird einmal an die Wand geschrieben: „Wenn du eine gute Idee umbringen willst, gibst du sie einem Komitee.“ Das kann bei der Förderung passieren. Von fünf Leuten im Gremium können drei Genies sein, aber es genügt ein Idiot, der alles niederreißt: Darum gibt es so viele mittelmäßige Dinge.

Das uninteressante Mittelmaß regiert zusehends.

Der fernsehfreundliche Film ist ein Riesenproblem. Früher hieß Fernsehen was, als der Bildungsauftrag noch ernst genommen wurde. Heute bedeutet der nichts mehr: Reportagen werden als Dokumentationen ausgegeben, miefige TV-Filme als große Kinoereignisse auf Festivals lanciert. Dabei weiß jeder: Das ist weder noch – kein Kino, nicht einmal gutes Fernsehen. Viele Festivalfilme haben die falsche Haltung, sind also zu fad fürs TV. Ich hab nix gegen gutes Fernsehen: Wenn du was für die Glotze machst, dann richtig und es ist auch okay. Aber im Kino will ich's eine Nummer härter haben. Das gilt auf ihre Art auch für minimalistische Filme. Man muss im Zuschauer schüren, dass er sagt: „Hier krieg ich was anderes als im ,Tatort‘.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2012)

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