"Der Diktator": Das nette Gesicht des Terrors

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Der britische Comedy-Star Sacha Baron Cohen kehrt nächste Woche als "Der Diktator" auf die Leinwand zurück: Statt Reality-Satire gibt es konventionellere Farce. Eine heitere, wenn auch milde Provokation.

Die Widmung zu Anfang des Films ist wenig überraschend: „In loving memory of Kim Jong-il“ steht über dem Foto des „geliebten Führers“ der Demokratischen Volksrepublik Korea. Der Diktatorenwitz ist dieser Tage populär, das belegt jede Internetrecherche. Wohl mit ein Grund, warum sich Komiker Sacha Baron Cohen unter Überraschungsdruck für sein viertes satirisches Kunstfigur-Kinoprojekt in diese Gefilde begibt. Er hat eine Vormachtstellung zu verteidigen: Ende der 1990er begründete er seinen Ruhm samt Komödien-Innovator-Status als Entlarvungskünstler. Kaum zu glauben, was er, erst verkleidet als britischer Möchtegern-Gangsta-Rapper „Ali G“, so auftischte – viele Interviewpartner führte er aufs Glatteis.

Der Erfolg machte Cohen zum satirischen Scharfrichter der Medienära: 2000 etablierte die eigene „Ali G Show“ ein Triumvirat televisionärer Terror-Comedy: der selbstgefällige, ungebildete Vorstadt-Rapper Ali G; der liebenswürdige, rassistische kasachische Reporter Borat; der schwule, oberflächliche Klagenfurter Modejournalist Brüno. Angestachelt von politisch unkorrekten Ansagen und Cohens Talent für Wortwitz und Verstellung ließen sich Gesprächspartner der drei schrägen Kunstfiguren zu noch unerhörteren Antworten hinreißen. Im Hinterkopf blieb die Frage: Fallen sie aus Zuvorkommenheit oder aus Dummheit auf Cohen herein – oder lässt die pure Mediengeilheit das Hirn stehen bleiben?


Guerillakomik. Cohens Stunde schlug 2006 mit dem „Borat“-Film: Das Kinodebüt „Ali G Indahouse“ (2002) war noch eine konventionell auf seine (damals) populärste Figur zugeschnittene Komödie. Erst „Borat“ brachte Reality-TV-Sarkasmus wirklich ins Kino: Die Amerikatour zur „kulturellen Lernung“ war sichtlich großteils improvisiert. Regisseur Larry Charles und ein achtköpfiges Team begleiteten den verkleideten Komiker auf der „Hit and Run“-Mission quer durch die USA. Wer vor die Kamera kam, erhielt eine Einverständniserklärung für eine kasachische Dokumentation zum Unterzeichnen.

Spontanküssen wildfremder Männer in New Yorks U-Bahn, versiert-verschlagenes Ködern sexistischer oder antisemitischer Ausfälle, Borats Nacktkampf mit seinem „kasachischen“ Produzenten: Die Guerillataktik ließ das FBI Crewmitglieder verhaften – Terrorismusverdacht! Das wurde publicitywirksam ausgeschlachtet, inspirierte eventuell den „Diktator“: Als Admiral General Shabazz Aladeen, oberster Führer des fiktiven Staats Wadiya in Afrika, treibt Cohen wieder Scherz mit Ängsten, Vorurteilen und Klischees. Osama bin Laden ist (seit der Hinrichtung seines Doubles) Hausgast bei Cohens Diktator, der blumig Bin Ladens übles Gebaren auf dem Klo schildert: „Das wahre Gesicht des Terrorismus!“ Weiter setzt Cohen auf politische und geschmackliche Konfrontation, wiewohl er sich in gewöhnlichere Gefilde zurückzieht: Borats Überraschungserfolg war in jeder Hinsicht unwiederholbar.

Das zeigte 2009 „Brüno“: Als Model(l)-Narziss karikierte Cohen zwar Homophobie so schrill wie zuvor (als hebräisch murmelnder Krypto-Jude) Borat Antisemitismus. Aber sein Ruhm begann die Reality-(TV-)Ästhetik des Humors zu untergraben. Wie beim „Diktator“ war der Film nur Endpunkt einer in der Realität angeworfenen Kampagne. Cohens diktatorischer Schmäh-Auftritt bei den Oscars, seine Parodie-Pressekonferenzen für „Mitglieder der zionistischen Medien“: eine virtuose, mehrmonatige Marketing-Performance. Diktator Shabazz passt perfekt in Cohens Figurengalerie: ein eitles, borniertes Monster – monströs, weil entlarvend, aber vor allem wegen der liebenswerten Züge.

Die quasidokumentarischen Herausforderungen minimieren Cohen und Regisseur Charles in „Der Diktator“ für eine relativ geradlinige Farce: Shabazz wird beim UN-Besuch von seinem Adjudanten (Ben Kingsley) ausgebootet und durch einen Doppelgänger ersetzt. Den Weg zurück zur Macht begleitet die Liebesgeschichte mit einer burschikosen Bioladenbesitzerin (Anna Faris; Kosename: „haariger Zwerg“).


Terror: Porsche 911. Die besten Szenen beschwören den Improvisationsgedanken, etwa ein Gespräch (auf Hebräisch) voller komischer Terror-Missverständnisse („Porsche 911“). Trotz Ekel-Einlagen wie der liebenden Handreichung in fremden Geschlechtsteilen bei einer Notgeburt ist der Film aber vergleichsweise mild, bis ins Finale, wenn Shabazz seine Diktatur in den Termini der US-Demokratie definiert. Von der Entertainment-Satire ist Cohen zum satirischen Entertainment gekommen: Die Slapstick-Einlagen und Verkleidungskunststücke erinnern an die Sixties-Komödien eines anderen britischen Verstellungskünstlers: Peter Sellers. Das wird keine lächerlichen (und die Lächerlichkeit der Mediengesellschaft belegenden) Schlagzeilen bringen wie die Proteste zu „Borat“. In der Tyrannei des heutigen Unterhaltungskinos ist es dennoch ein kleiner Triumph: Der Diktator will die Wiederwahl.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2012)

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