Selbstzerfleischung: Terror in Texas

(c) Walt Disney Studios
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"No Country for old Men" von den Coen-Brüdern und Paul Thomas Andersons "There will be blood" sind die US-Filme der Stunde.

Bei der diesjährigen Oscar-Gala (so sie statt-
finden wird) hat eine 2400-Seelen-Gemeinde
die Nase vorn: In Marfa, Texas, wurden
jene beiden Filme gedreht, die sich die meisten Nominierungen teilen (jeweils acht, darunter Film, Regie und Drehbuch). Die US-Kritik hat davor schon Superlativen verschüttet für No Country for Old Men, den Comeback-Thriller der zuletzt im postmodernen Komödiensumpf versickerten Kult-Brüder Joel und Ethan Coen. Noch enthusiastischer war das Lob für Paul Thomas Andersons There Will Be Blood: Damit sei der 37-Jährige endgültig vom Wunderkind zum Meisterregisseur aufgestiegen – ein durch und durch amerikanischer Film auf dem Niveau von Citizen Kane. Andersons exzentrisches Epos aus dem frühen 20. Jahrhundert mit einem hemmungslos aufspielenden Daniel Day-Lewis als Ölbaron erinnert jedenfalls thematisch an den letzten großen Hit, der in Marfa gedreht wurde: die Öl-Saga Giganten,
1956, mit James Dean.

Deans hasserfüllter Tycoon dürfte ebenso zu den Vorbildern für den von Day-Lewis gespielten Pionierzeit-Kapitalisten gezählt haben wie der größenwahnsinnige Zeitungsmagnat Kane aus Welles’ Klassiker. Darüber schwebt noch der Geist von John Huston, sowohl als Schauspieler als auch als Regisseur: Seine sinistre Rolle als Patriarch im Neo-Noirkrimi Chinatown wird von Day-Lewis manchmal bis in die Intonation beschworen, Hustons berühmten Bogart-Abenteuerfilm Der Schatz der Sierra Madre will Paul Thomas Anderson als Inspiration vor There Will Be Blood gesehen haben. Aber tatsächlich ist Andersons Film zunächst einmal Ausdruck seines Stilwillens – auch wenn ihm sein flamboyanter Hauptdarsteller öfters Konkurrenz macht: Day-Lewis gelingt das Kunststück, seine Rolle aus Scorseses Gangs of New York zu wiederholen und ihr dabei ganz andere Züge abzugewinnen.

Amerikanischer Albtraum

Hier wie dort spielt der britische Star-Import einen amerikanischen Albtraum: Seine Figuren sind so ehrfurchtgebietend wie bestialisch, mit Macht und Erfolg kommen unweigerlich Megalomanie und Selbstzerstörung. In There Will Be Blood wird er mit einer viertelstündigen Szene ohne Worte eingeführt (zugleich eine Plattform für Andersons barocke Inszenierung und den auffälligen, perkussiven Soundtrack): Da ist der baldige Magnat noch in der Dunkelheit der Minen zu Gange, bricht sich ein Bein, während er fündig wird, und kriecht kurzerhand über die Breitwand-Wüstenlandschaft bis in die Stadt, um seinen Claim anzumelden.

Die Erfolgsbesessenheit führt zur großen Karriere als Ölbohrer, in einem fundamentalistischen Prediger (Paul Dano) findet sich ein würdiger Antagonist: Beide sind rücksichtslos, heuchlerisch und projizieren ihre Familienprobleme aufeinander. Die Kollision von Geld und Religion endet zwangsläufig im atavistischen Akt, den der eingangs in gotischen Lettern dräuende Titel versprochen hat: die einzig mögliche Katharsis des überdimensionalen Selbsthass-Schauspiels. Ob das Resultat, bei allem visionären Anspruch, die vollen zweieinhalb Stunden benötigt – zumal ein Großteil der Handlung und vor allem der Politik von Upton Sinclairs zugrunde liegendem Roman „Oil!“ auf der Strecke blieben –, darf aber angezweifelt werden.

Blutspur

Vergleichsweise bescheiden mutet daneben der Krimi der Coens an, der sich zwar stärker an seine gleichnamige Vorlage von Corman McCarthy hält, aber
auch nachteilig mit den Markenzeichen der Filmemacher hausieren geht: No Country For Old Men erzählt im Wesentlichen von der Jagd nach der Millionenbeute aus einem gescheiterten Drogendeal. Ein Kriegsveteran (unterschätzt: Josh Brolin) setzt sich damit ab, ein unaufhaltsamer Killer mit Prinz-Eisenherz-Frisur (überschätzt: Javier Bardem) heftet sich auf seine Fersen, und ein resignierter, konservativer Provinz-Cop (Tommy Lee Jones) folgt der Blutspur. Das Vorgehen des Sheriffs erinnert verdächtig an die schwangere Polizistin aus dem Coen-Hit Fargo, aber im neuen Film gibt es nichts, was sein „poetisches“ Philosophieren rechtfertigen würde: Die Spannungsszenen inszenieren die Coens zwar mit dem alten Geschick, aber auch der alten Glätte, und wenn sie die resultierenden Blutbäder zuletzt der Fantasie des Publikums überlassen, ist das kokett raffiniert.

Der tobende Krieg wird übrigens – wie bei Anderson - kurz evoziert, aber das scheint für diese isolationistischen Erzählungen nur Alibifunktion zu haben: Die wirkliche Tragödie, auch wenn sie bewusst ins Absurde übersteigert wird, ist letztlich in beiden Filmen, national und nationalistisch: Es ist die Selbstzerfleischung der USA.

Filmstarts

There will be blood ist ab sofort im Kino.

No Country for Old Men ab 29.2. im Kino

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