Von Joe Dantes „Burying the Ex“ bis zu Abel Ferraras Hommage an Pier Paolo Pasolini: ein Wegweiser durch das elefantöse Programm des Filmfestivals.
Überforderung. Verzweiflung. Resignation: die drei Stadien bei der jährlichen Auseinandersetzung mit dem elefantösen Viennale-Programm. Dabei könnte alles so einfach sein: Ignoriert man die obligaten, immer wieder recht nutzlosen und immer ganz schnell ausverkauften Hype-Filme, die manchmal noch während des Festivals, so gut wie immer aber in den Monaten darauf regulär im Kino anlaufen, dann wird die Viennale zur recht entspannten Angelegenheit. Als Massage für gestresste Seelen erweist sich „Hill of Freedom“ vom Vielfilmer, Vieltrinker und Sympathieträger Hong Sang-soo. Ein schlaksiger Japaner schlurft darin durch koreanische Gassen, auf der Suche nach einer Frau, die er vor Jahren kennen und lieben gelernt hat. Diverse amüsante und alkoholschwangere Begegnungen folgen, die Hong allerdings nicht chronologisch erzählt, sondern durcheinander gewürfelt, ineinandergeschoben. „Hill of Freedom“ ist Kino als Zeitfenster, in dem zusammenfindet, was war, was ist und was sein wird. Ein munterer Hund wird zum Scharnier des launigen Einstünders. Sein Name ist „Gumi“, zu Deutsch: Traum.
Ebenfalls jenseits dramaturgischer Konventionen: Das Kino des großen Amerikaners Abel Ferrara, der mit „Pasolini“ nach seiner Strauss-Kahniade „Welcome to New York“ bereits den zweiten Film in diesem Jahr vorlegt. Wieder ist es ein Porträt eines mächtigen, exzentrischen, streitbaren Mannes, wieder verweigert der Regisseur bereits gelegte Zugänge. Ferrara fokussiert die letzten Stunden im Leben des Pier Paolo Pasolini: Willem Dafoe bringt in der Titelrolle sein kantiges Kinn in Stellung, die Augen werden von großen Sonnenbrillen verdeckt. Im Schneideraum legt er Hand an seinen letzten Film, „Salò oder Die 120 Tage von Sodom“.
Eine andere Geschichte des Schmalfilms
„Zu skandalisieren ist ein Recht. Skandalisiert zu werden ein Vergnügen“, sagt er später einem Journalisten. Es folgt eine Skizze zu einem der ganz Großen. Die Erinnerung an einen Blowjob vor der Kulisse einer römischen Arbeitersiedlung. Gespräche mit der geliebten Mutter, die ihren Sohn, den Meisterregisseur, immer noch „Pieruti“ nennt. Und vor allem: Ferraras Inszenierung eines geplanten Pasolini-Projekts, zu dem es nie gekommen ist, in dem zwei Männer das Paradies suchen und es in Sodom finden.
Persönliche, eigentlich intime Begegnungen ermöglicht auch das spannendste Spezialprogramm der diesjährigen Viennale: „Revolutionen in 16mm“ präsentiert zwölf Vorschläge „zu einer anderen Geschichte des Schmalfilm-Formats“. Kinofreunden jenseits der Vierzig mag die von Viennale-Mitarbeiterin Katja Wiederspahn und Haden Guest vom Harvard Film Archive zusammengestellte Selektion zumindest streckenweise bekannt vorkommen. Gerade das junge Festivalpublikum, und das ist bekanntlich zahlreich, erhält dadurch allerdings die Gelegenheit, sich mit einem mittlerweile marginalisierten Material vertraut zu machen und vielleicht überhaupt verstehen zu lernen, wie sich Film vor dem digitalen Zeitalter verhalten und angefühlt hat.
Stark in der (Kino-)Vergangenheit verwurzelt ist noch ein weiterer Höhepunkt der Viennale: Joe Dante („Gremlins – Kleine Monster“) erzählt in seiner Horrorkomödie „Burying the Ex“, was passiert, wenn Liebe tatsächlich ewig hält – und die vom Bus überfahrene Ex plötzlich wieder vor der Wohnungstür steht. Das Bewegende daran: Dante formuliert seinen Low-Budget-Film mit Ashley Greene („Twilight“) und Anton Yelchin („Star Trek“) in den Hauptrollen als gewaltigen Liebesbrief an die Horrorfilmkultur, etwa wenn die sexgeile Zombie-Braut nach Betrachten eines Schundfilmklassikers von Herschell Gordon Lewis mit dem unsterblichen Titel „The Gore Gore Girls“ plötzlich Lust auf Frischhirn bekommt.