Mensch gegen Maschine: Eröffnung von „Wien Modern“

(c) FABRY Clemens
  • Drucken

Publikumswirksam schräger erster Abend der 25. Auflage des Festivals im Wiener Konzerthaus: Olga Neuwirth ließ in „Kloing!“ den Pianisten Marino Formenti gegen einen computergesteuerten Flügel antreten.

Die Stierkämpf' bei der „Großen Chance“? A matte Sache. Formenti gegen Computerklavier, das nenn' i Brutalität: Es ist ein Scheitern, das Olga Neuwirth da unter dem lautmalerischen Titel „Kloing!“ groß inszeniert, wenn sie Marino Formenti mit dem ihm eigenen pianistischen Ingrimm gegen einen immer mehr verrücktspielenden Musikautomaten antreten lässt, den computergesteuerten Ceus-Flügel von Bösendorfer.

Weil die Vorgänge auf dem Manual auf einer Leinwand live übertragen wurden, konnte das Publikum auch visuell verfolgen, wie die Maschine mit perfider Präzision oder fundamentaler Gleichgültigkeit dem Pianisten gleichsam die Tasten unter den Fingern wegzog – und sich lustvoll gruselnd irgendwo zwischen „Poltergeist“ und „Paranormal Activity“ wähnen. Formenti – ein atmosphärischer Mitschnitt seines „Wien-Modern“-Klavierabends von 2011 ist gerade erschienen (mit Werken von Cerha, Stockhausen, Cage u. a., bei col legno) –  legte sich dennoch voll ins Zeug, versuchte immer wieder, dem vor allem zwischen banaler Schule der Geläufigkeit und wüsten Ausbrüchen pendelnden Apparat diverse Literaturzitate des 19./20. Jahrhunderts (Schubert, Schumann, Chopin, Ravel) entgegenzusetzen. Ausgehend von einer Filmlektion über das Welte-Mignon-Klavier und seine Lochstreifen, mittels derer uns Interpretationen nicht als Schall-, sondern mechanische Aufzeichnungen überliefert sind (etwa von Mahler), legten sich noch weitere Bilder über das Geschehen: Tom und Jerry mit Liszt, Victor Borge im Duo mit Rowlf von den „Muppets“, Emil Gilels – bis die Tastatur nur noch tobte und sich schließlich in einem alle Töne umfassenden Cluster verausgabte.

Im übermächtigen Wirken des Maschinellen wurde da überdeutlich der Einbruch jenes Barbarischen fühlbar, das Armin Thurnher in seiner humorvoll-gescheiten Eröffnungsrede mit Walter Benjamin als notwendigen Schatten der Kultur definierte – und die Politik zugleich in die Pflicht nahm, auch in Gestalt von „Wien Modern“ weiterhin den „künstlerischen Beitrag einer Gesellschaft zur Selbstzivilisierung“ zu sichern.

Grandioser Countertenor: Andrew Watts

Das Festival erlebt heuer bereits seine 25. Auflage: Zum Jubiläum, das mit Ausläufern bis zum 23. November gefeiert wird, hat u. a. der Mitbegründer und Neue-Musik-Doyen Lothar Knessl eine eigene, fünfteilige Konzertreihe kuratiert, spielen illustre Solisten und Ensembles vom Arditti-Quartett bis hin zum Ensemble intercontemporain, geht der Erste-Bank-Kompositionspreis an den feinsinnigen Beat Furrer. Einer der Schwerpunkte des Festivals gilt Olga Neuwirth. Die hat ihrem Jugendidol Klaus Nomi ein mittlerweile neun Songs umfassendes Denkmal gesetzt, die sie „fits“ („Krämpfe“) nennt – in Anspielung auf Lewis Carrolls Nonsense-Ballade „The Hunting of the Snark“, aus der zwischendurch zitiert wird. Spontan sinnfällig wird das Ineinandergreifen der Ebenen aber nicht – auch wenn die einzelnen Elemente, wie im 300 Seiten starken Festivalkatalog nachzulesen ist, durchaus klug aufeinander Bezug nehmen.

Noch mehr als bei „Kloing!“ erwies sich in der „Hommage à Klaus Nomi“ mit ihren hinreißend schräg instrumentierten, vierteltönig verbeulten und dadurch intensivierten Songs die lebendig dargebotene Tonspur nämlich als wesentlich stärker als die bewegten Bilder, die gleichzeitig ablaufen: Der grandiose Countertenor Andrew Watts (er gibt heute, Mittwoch, einen „Wien-Modern“-Liederabend) und das Klangforum Wien unter Clement Power ließen an der mitreißenden Qualität der Musik keinen Zweifel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.10.2012)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.