Nachtkritik: "Ariadne auf Naxos" in der Staatsoper

Fotoprobe 'Ariadne auf Naxos'
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Die Staatsoper macht ihrem Publikum mit "Ariadne auf Naxos" das schönste Weihnachtsgeschenk.

Sven Eric-Bechtolfs Inszenierung der „Ariadne auf Naxos" von Hugo von Hofmannsthal und Richard Strauss war bei den Salzburger Festspielen ein theatralisch hinreißender Versuch mit einem Arrangement der seinerzeit missglückten Urfassung des Werks. Anlässlich der Übersiedlung des zweckmäßigen Bühnenbilds von Rolf Glittenberg an die Wiener Staatsoper wurde die Regiearbeit auf jene Version umgepolt, die 1916 von dieser Bühne aus ihren Siegeszug antrat. Und diese Premiere geriet nun auch zum musikalischen Triumph.

Schon das an Stelle der ursprünglich als Einleitung gedachten Molière-Komödie ("Der Bürger als Edelmann") nachgedichtete „Vorspiel" trug von Takt zu Takt den Stempel des Außergewöhnlichen.

Franz Welser-Möst nimmt sich Zeit, um mit dem herzhaft aufspielenden philharmonischen Kammerorchester jede Nuance von Strauss' innovativem Parlando auszukosten: Jede Silbe, jeder Beistrich des Textes verwandelt sich unmittelbar in Klang. Die exquisite Sängerbesetzung, voran der quirlige Tanzmeister von Norbert Ernst und der melancholische, doch prächtig singende Musikmeister Jochen Schmeckenbechers, tun es dem verschmitzt-hintergründigen Haushofmeister von Peter Matic gleich: Wie er seine Pointen mit Musikalität zu setzen weiß, agieren sie vokal pointiert. Und so wortdeutlich wie Christine Schäfer den Komponisten singt, eine Figur, zerrissen zwischen der Verzweiflung des verkannten Genies und der Zuneigung zur Primadonna des "feindlichen" Unterhaltungstheaters, Daniela Fallys beseelt-freche Zerbinetta.

Die Verwunderung mancher Opernfreunde über die Besetzung der zentralen Partie des „Vorspiels" mit der Schäfer lässt sich aus der jüngeren Aufführungstradition erklären. Seit langem singen Mezzosoprane den Komponisten. Doch widerspricht das dem Willen der Schöpfer des Werks eklatant. Immerhin hat die junge Lotte Lehmann die Rolle einst aus der Taufe gehoben. Und Schäfer erfüllt sie, um Strauss zu zitieren, „mit roten Blutkörperchen". Sie lässt im finalen Gesang an die Musik, die „heilige Kunst", endlich hören, wie viel höher und freier Strauss seine Melodiebögen schwingt als zuletzt immer zu ahnen war.

Der aufgeputschte Tonfall, zu dem sich der erste Teil des Abends auf diese Weise steigert, entlädt sich nach der Pause in einem grandiosen „Opern"-Teil, den Krassimira Stoyanovas Ariadne ganz und gar dominiert. Dieses Debüt kommt einer Sensation gleich: Eine der herrlichste Sopranstimmen unserer Zeit gibt einer sonst in aller Regel statisch gezeichneten Rolle vokal wie darstellerisch kräftigstes Profil. Nicht nur blüht ihr weicher Sopran in den beiden Eingangs-Arien farbig auf, auch den Sinn von Hofmannsthals Worten wird deutlich, der die klassische „Klage der Ariadne" hier für die Moderne neu verdichtet.

Die Verschwisterung von philharmonischer Klangkultur und dem Gestaltungsvermögen einer bedeutenden Sängerin, die am Premierenabend zu erleben war, macht diesen 19. Dezember 2012 zu einem Stichtag in den Annalen der Staatsoper. Stephen Gould vermag zuletzt als Bacchus mitzuhalten, ein kleines Wunder auch das, scheint es ihn doch keine Mühe zu kosten, seinen wahrhaft heldisch und schwer gewordenen Tenor in den lyrischen Passagen dem belkantesken Anspruch von Komponist und Partnerin anzuschmiegen.

Auch die Zerbinetta-Arie Daniela Fallys enttäuscht nicht: Immerhin gelingt es dem immensen Bühnentemperament dieser Sängerin, den kumulierten Kolorturwahnsinn dieser Nummer geradezu nonchalant mit burlesker Aktion zu verknüpfen, wie sie der Koryphäe des elegant choreographierten Komödianten-Quintetts zukommt.

Dessen Herren lassen sich nicht lumpen, von den beweglichen Buffotenören Pavel Scolgatin (Brighella) und Carlos Osuna (Scaramuccio) bis zum Truffaldin-Fundament Andreas Hörls. Dank Adam Plachetkas so kräftig wie edel timbriertem Harlekin erweisen sich die „Buffonisten" auch in solistisch-ariosen Bereichen als den „Tragöden" ebenbürtig.

Apropos: Das Nymphen-Terzett, mit dem die „Oper" anhebt, hat die derzeitige Generation von Opernliebhabern schwerlich je so vollkommen ausbalanciert, von drei ebenmäßigen, aber auch fülligen Stimmen gesungen hören können. Valentina Nafornita führt mit lichtem, doch festem Sopran, Margarita Gitskova ergänzt gegen die Tiefe zu wohllautend. Und Olga Bezsmertna ist ein Echo, das in den entscheidenden Momenten auch der Primadonna Paroli bieten kann.

All dieses eminente Potenzial wird vom Generalmusikdirektor mit spürbarem Engagement gebündelt und zuletzt zu einem ekstatischen Finale gesteigert. Die Vorstellung war dem Andenken Lisa Della Casas gewidmet. Gottlob: An einem solchen Premierenabend muss die Staatsoper keinen Vergleich scheuen; nicht einmal den mit ihrer eigenen, in Sachen Richard Strauss wahrhaft gloriosen Vergangenheit.

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