Wut, Ekstase, Tod: Was für ein Liebespaar!

FOTOPROBE: 'TRISTAN UND ISOLDE' IN DER WIENER STAATSOPER
FOTOPROBE: 'TRISTAN UND ISOLDE' IN DER WIENER STAATSOPERAPA/HANS KLAUS TECHT
  • Drucken

„Tristan und Isolde“: Uneingeschränkter Jubel für Nina Stemme und Peter Seiffert, viel Zustimmung, aber auch Buhs für Franz Welser-Möst und die karge Inszenierung von David McVicar.

Das ist keine Musik... Dies ist das Chaos! Dies ist Demagogie, Blasphemie und Wahnwitz! Dies ist ein parfümierter Qualm, in dem es blitzt! Dies ist das Ende aller Moral in der Kunst!“ So vehement echauffierte sich der Bach-Verehrer Edmund Pfühl in Thomas Manns „Buddenbrooks“ schon beim Vorspiel zu „Tristan und Isolde“, bis er „aufgesprungen und mit allen Anzeichen des äußersten Ekels zwischen Erker und Flügel hin und wider geeilt“ war: das herrlich ersonnene Abbild einer heute kaum mehr verständlichen Kontroverse.

Denn den Nimbus des Skandalträchtigen hat das Werk längst verloren, die Opposition der Pfühls ist geschwunden – also jener orthodoxen Musiker, die angewidert vor dem klingenden Narkotikum zurückschreckten. Seinen Ausnahmerang konnte der „Tristan“ jedoch bis heute behaupten: in seiner kaum ermesslichen Bedeutung für die abendländische Musikgeschichte – und in seinen einschüchternden Anforderungen an die Interpreten. So viel vorab: Zwei der besten unserer Zeit standen diesmal auf der Bühne.

Man erinnere sich: Ende Mai 2003 war Günther Krämers ungeliebt triste Inszenierung von „Tristan und Isolde“ erstmals an der Staatsoper zu erleben: Deborah Voigt und Thomas Moser, vor allem aber Christian Thielemann am Pult wurden frenetisch gefeiert. Doch schon bei der nächsten Aufführungsserie im Herbst, als Thielemann nach dem ersten Abend absagte, sorgte ein aus Zürich herbeigerufener Einspringer ohne Probe für Furore: Franz Welser-Möst. Es war vielleicht sein größter Schritt auf dem Weg zum Generalmusikdirektor. Was damals spontan gehen musste, konnte nun, bei der zentralen Wiener Wagner-Premiere des Jubeljahres 2013, penibel vorbereitet werden.

Welser-Möst: Kein parfümierter Qualm

Das Ergebnis: Unter Welser-Möst blitzt es nicht im parfümierten Qualm. Stattdessen durchleuchtet er das Werk zuerst mit großer Akkuratesse, putzt die dabei zutage geförderten Details möglichst blank – und setzt sie vornehmlich flüssig, doch ohne Hast neu zusammen. Das höchst aufmerksame Staatsopernorchester folgt ihm mit Verve, entwickelt vielfach außerordentlich schön aufgeschlüsselte Klänge – von den nobel ihre Kantilenen rankenden Holzbläsern bis zu den sonoren Bratschen- und Cellosoli, vom sauberen Blech bis zur „traurigen Weise“ des Englischhorns und dem folgenden Jubelruf der Holztrompete. Wagners „Demagogie“ hält Welser-Möst seinen klaren Kopf entgegen: Übersicht und Kontrolle dominieren, die feinnervig-flexible Spannung geht mit leichter, heller Schärfe einher, erdhaft satte Farben bleiben im Hintergrund. Und doch passiert es, dass er den Rausch über Gebühr zu genießen beginnt und den philharmonischen Kräften nicht Einhalt gebietet: Mehrfach ballen sich diese auch dort zu expressiver Wucht zusammen, wo im Dienst des Wortes und der Stimmen die gleiche Intensität mit weniger Dezibel erreicht werden sollte. Das fordert die Sänger stark heraus – aber bei dieser Besetzung scheint es möglich.

Denn wirklich ist es das tragische Liebespaar, das den Abend zum Ereignis macht: Bis auf den schlank, aber eindringlich tönenden Marke Stephen Millings bleibt der Rest (darunter Janina Baechle als traumatisierte Brangäne, Jochen Schmeckenbecher als trinkender Kurwenal) sängerisch blass. Desto klarer steht Nina Stemme als hoheitsvolle Isolde im Zentrum: Bühnenpräsenz, noch jugendlich anmutende stimmliche Blüte und doch auch die nötige Reife einen sich zum zwingenden Rollenporträt. Man mag nicht jedes Wort ihrer in allen Lagen sonoren, differenzierten Phrasen verstehen, wohl aber deren Sinn: lodernde Wut, Versenkung und Ekstase, in der die Spitzentöne wie kleine Eruptionen wirken, schließlich der Abschied – wobei die innere musikalische Intensität des orchestral zu hoch aufbrandenden Liebestods, nach dem sie im blutroten Kleid mit langer Schleppe ins schwarze Nichts davonschreitet, noch steigerungsfähig schien.

Großartig und in diesem Ausmaß vielleicht gar überraschend, wie sich Peter Seiffert neben Stemme als Tristan behauptet, den er 2007 erstmals in Wien gesungen hat: Die lyrischen Qualitäten von einst klingen im ungestrichenen Tag- und Nachtgespräch sowie im Liebesduett angenehm durch, er hat Glanz im Timbre und kann die mächtige Stimme weitgehend ruhig und sauber führen, vor allem aber stürzt er sich, vom Souffleur bestens unterstützt, mit rückhaltloser Intensität und eindrucksvoller Stamina in die Fiebervisionen des dritten Akts. Vor Mikrofonen lassen sich da manche vokalen Blessuren nicht mehr verbergen, im Haus aber klingt das ungemein expressiv. Das Zusammenspiel der beiden war allen Jubel wert.

Im Zentrum steht der singende Mensch

Lässt sich David McVicars Inszenierung kaum als großer Wurf bezeichnen, stellt sie doch, nehmt alles nur in allem, auf heute fast schon mutig zu nennende Weise den singenden Menschen ins Zentrum. Zu sehen ist nur das, was der kargen Handlung dient, keine weiterführende optische Interpretation oder Brechung. Ausstatter Robert Jones entscheidet sich für konkret definierte Orte (ein bewegliches, morbid verfallenes Schiff im ersten Akt, eine Art Pier im zweiten, eine karge Uferlandschaft im dritten), die er symbolistisch anreichert – mit blutrotem Mond/Sonne, zum Vorspiel auf- und zum Liebestod untergehend, einem wellenartigen Horizont in gleicher Farbe, einem phallischen Mast im zweiten Akt, den eine nachtblau leuchtende (Dornen-)Krone wie eine Vulva umkränzt. Auch hier kein parfümierter Qualm – sondern Poesie inmitten einer etwas diesseitigen Härte (Licht: Paule Constable). Wie die Personenführung, die gern an der Rampe bleibt, scheint alles schon einmal da gewesen. Oder fast: Der merkwürdige, asiatisch inspirierte Bewegungschor scheint ein Überbleibsel aus Tokio, wo die Inszenierung ursprünglich das Licht der Bühnenwelt erblickte.

Ob das als verpasste szenische Chance oder als typisch britische Besinnung aufs Wesentliche zu werten ist, ist Geschmackssache. „Repertoiretauglichkeit“ kann freilich in einem Haus wie der Wiener Staatsoper per definitionem kein Schimpfwort sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.