"Gurre-Lieder": Bitte noch gespenstischer!

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Arnold Schönbergs kolossales Epos unter Kent Nagano: klar, aber zu wenig geheimnisvoll.

„Man hatte sich auf Brennnesseln gefasst gemacht und erhielt immerhin Blumen“, hieß es in Julius Korngolds wohlwollender Kritik in der „Neuen Freien Presse“: Am 23.Februar 1913 hatte die Uraufführung der riesenhaften „Gurre-Lieder“ im Wiener Musikverein unter Franz Schreker dem bis dato von Publikum und Kritik keineswegs auf Händen getragenen Komponisten Arnold Schönberg einen triumphalen Erfolg beschert.

Vor dem „Watschenkonzert“. Doch schon fünf Wochen später kam es am selben Ort zum berüchtigten „Watschenkonzert“, als Werke von Schönberg und seiner Schüler Anton Webern und Alban Berg einen unerhörten Eklat provozierten, der zum Abbruch der Veranstaltung führte. Die Sonne, die Schönberg am Schluss der „Gurre-Lieder“ noch einmal und mit nie da gewesener Monumentalität in strahlendem C-Dur aufgehen ließ, sie schien ja längst auch auf die erstarkenden Erzeugnisse der uns heute als klassisch geltenden Moderne herab.

Die Wiener Symphoniker, ein Nachfolgeklangkörper des 1913 angetretenen Tonkünstler-Orchesters, feierten nun vor begeistertem Publikum den Hunderter der „Gurre-Lieder“ – und zwar im Konzerthaus, wo das in jeder Hinsicht kolossale Werk aus praktischen und akustischen Gründen ohnehin besser aufgehoben ist.


Von der Auflösung in der Natur.
Schönberg selbst war ja überzeugt, dass dieses zwischen Liederzyklus und Oratorium angesiedelte Epos von Liebe und Tod und deren Auflösung in der Kraft der Natur den Schlüssel zu seiner ganzen Entwicklung darstellen würde. In der Tat liegen die letzten übersteigerten Ausläufer der Spätromantik und die Vorboten der Moderne (die Richtung Atonalität sich wendenden Grotesken etwa, der unkonventionelle Einsatz einer Sprechstimme u.a.) hier oft nur einen Herzschlag voneinander entfernt.

Mit einem Dirigenten wie Kent Nagano ließ sich das jedenfalls bestens nachvollziehen: Seine Lesart war klar, immer um prägnante Details und doch auch Transparenz bemüht – und betonte ab dem zweiten Teil durchaus die vielsagenden Brüche in der Partitur.

Allzu irdisch.
Trotz kleiner Intonationsirritationen erfüllten die Symphoniker diesen Rahmen mit einer reichen, betörend gemischten Farbpalette. An Grenzen geriet Nagano allerdings bei den Gespensterszenen, die sehr irdisch und ohne Geheimnis abliefen – vielleicht auch, weil Albert Dohmen als Bauer zu plakativ tönte und die Herren der Wiener Singakademie sowie von Chören aus Barcelona und Bratislava zwar kräftig, aber doch zu wenig differenziert klangen.

Herrlich skurrile Holzbläserschärfe regierte dagegen rund um Klaus Narr (Kurt Azesberger), wagnerisch blühende Üppigkeit um die zumeist poetisch leuchtend singende, nur in der Höhe etwas angestrengte Angela Denoke (Tove), von deren Tod Mihoko Fujimura als Waldtaube halb betroffen, halb neutral kündete. Unbefriedigend dagegen Jay Hunter Morris als angestrengt greller, weder im Lyrischen noch im Dramatischen souveräner Waldemar.

Das bewegende Melodram gab Sunnyi Melles: Sängerisch fundierter Ausdrucksgewalt, wie sie zuletzt in Wien 1999 etwa Dietrich Fischer-Dieskau und davor anderswo Hans Hotter vorgeführt hatten, setzte sie, etwas zu nachdrücklich elektronisch verstärkt, zart gesponnene Stimmfäden entgegen – eine legitime Möglichkeit, bevor hunderte Kehlen die leuchtende Sonne beschworen: wahrlich imposant.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2013)

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