Im Geist Strawinskys: Schaurig-schönes Opfer

Strawinskys Opfer
Strawinskys Opfer(C) Jena Louis Fernadez
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Akram Khan fasziniert mit seinem Frühlingsopfer, Ivo Dimchev gibt eine schrille Diva und Trajal Harrell enttäuscht.

Das Ritual ist beängstigend: Menschen und ein ominöser schwarzer Priester, die um ein auserkorenes Opfer tanzen, es treten, schlagen, niederringen und sich dabei so in Trance tanzen, dass sie zu allem bereit sind. Der als Sohn bengalischer Eltern in London geborene Choreograf Akram Khan hat sich für „Itmoi (In the Mind of Igor)“ von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ inspirieren lassen und wollte nichts weniger als „ein Erlebnis von universaler Bedeutung mit einer ganz eigenen Emotionalität schaffen“. Dafür begab er sich für diese nun auch beim Impulstanz gezeigte Arbeit auf die Suche nach der Neugierde und der Furcht, die Strawinsky antrieben. Er erforscht menschliche Rituale, Tapferkeit und die Grausamkeit des Glaubens. Das Ergebnis ist schockierend und gehaltvoll.

Khan, der in klassischem indischem Kathak ausgebildet wurde, bevor er sich dem zeitgenössischen Tanz zuwandte, bringt die Grausamkeit des Menschenopfers ebenso lebendig auf die Bühne wie die Möglichkeit, sich dem Zwang zur Gewalt zu entziehen – doch der dies versucht, wird bei Khan selbst zum Opfer. Khan setzt alles in Bewegung, nicht nur die Tänzer, sondern auch die Fantasie des Publikums: Da schwebt eine unnahbare Frau im Reifrock über die Bühne und sucht mit eiskalter Eleganz das Opfer aus. Da kriechen gehörnte Fabelwesen mit verkrüppelten Händen über die Bühne als wären sie direkt der Hölle entstiegen. Und wenn das Opfer an zig Seilen seinen Torturen ausgesetzt wird, hat man den Eindruck, die gequälte Kreatur schlage mit blutroten Tentakeln um sich. Ein schaurig-schönes Stück Theater.

Ebenfalls umjubelt: der bulgarische Performer und Choreograf Ivo Dimchev, dessen schrilles Alter Ego, Lili Handel, fast nackt in schwarzen Lackstilettos über die Bühne stöckelt – als „lebendiges Kunstwerk“. In „X-On“ zeigt „Lili“ mit outrierter Liebenswürdigkeit vor, was sich der vor einem Jahr verstorbene Franz West eigentlich von den Ausstellungsbesuchern erwartet hätte: eine kreative, fantasievolle, womöglich zerstörerische Interaktion mit seinen Kunstwerken – nicht das fade Betrachten der Vitrine.

Franz Wests Skulpturen als Requisiten

Dimchev, der in seiner Heimat jedes Jahr einen Wettbewerb für zeitgenössische Choreografie organisiert und sich einen Namen als extremer, hintergründiger, unterhaltsamer Performer gemacht hat, benutzte 2010 eine Skulptur Wests sogar als Hacke und zerschlug sie. Seine „Lili“ ist behutsamer, manchmal betulich, sie überrascht und tut alles, um dem Publikum zu gefallen: eine Rampensau, wie man so sagt.

Auch transgender, aber enttäuschend: Trajal Harrell in seinem Stück „Judson Church is Ringing in Harlem (Made-to-Measure) – Twenty Looks or Paris is Burning at the Judson Church (MsM)“. Ein langer Name für ein trotz 50 Minuten Kürze langatmiges Stück des New Yorker Choreografen, das auf die Ballroom-Kultur und die Model-Ästhetik Bezug nimmt, aber in Selbstverliebtheit und exzessiven Wiederholungen stecken bleibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2013)

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