Wie sich die Netrebko als Giovanna neu erfand

sich Netrebko Giovanna erfand
sich Netrebko Giovanna erfand(c) APA/NEUMAYR/MMV (NEUMAYR/MMV)
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Die Starsopranistin und Ex-Tenor Placido Domingo gaben in Verdis selten gespieltem Frühwerk eine Lektion in Bühnenpräsenz und Stimmbeherrschung. Und das in einer konzertanten Aufführung.

Die Relativität ist ein Hund. Und Francesco Meli sein Opfer. Bei einer handelsüblichen konzertanten Opernaufführung würde man jetzt den strahlenden, kräftigen Tenor herausstreichen, der seinen Part als Karl VII. in Verdis Frühwerk „Giovanna d'Arco" mehr als anständig meisterte. Ein Tenor, der eine solche Aufführung zieren würde. Doch es waren keine „normalen" Umstände. Denn Meli teilte sich das Podium in der ausverkauften Salzburger Felsenreitschule mit Anna Netrebko und Ex-Tenor Placido Domingo, zwei begnadeten Sängerdarstellern, sodass man bilanzieren muss: Zwar gleiche Disziplin, aber andere Liga.

Das wird gleich zu Beginn deutlich: Der König hat gerade seinen ersten Auftritt, mit ganz leichten Unschärfen aber sonst sehr ordentlich und in klassisch konzertanter Manier absolviert, da gibt es eine krachende Lektion in Bühnenpräsenz: Eine kräftige, bärtige Gestalt arbeitet sich zur Mitte vor, mehr stolpert sie, als dass sie geht, findet schließlich am Notenständer den Halt, den die Seele längst verloren hat. Noch bevor Plácido Domingo als Giacomo, dieser völlig aus dem Tritt geratener Vater der Giovanna, den ersten Ton singt, gehört ihm die Bühne. 72 Jahre und die gesundheitlichen Probleme der letzten Zeit haben dem Bühnentier in ihm nicht das Geringste anhaben können.

Ja, man merkt am Timbre - und im Zweifelsfall am Schluchzen - dass Domingo ein Bariton mit tenoralem Migrationshintergrund ist. Jegliche Häme, ihm sei in der höheren Etage die Luft zu dünn geworden und jeder Scherz, er werde wohl mit 80 den Großinquisitor singen, müssen aber Verstummen angesichts dieser stupenden Leistung. Domingo will sich nicht weniger als vollen Einsatz leisten, das führt ihn manchmal an die Grenze, doch Profi, der er ist, hat er diese Grenze im Griff und nicht sie ihn.

Das Gesicht als Spiegel der Seelenpein

Und dann kommt sie. Anna Netrebko hat sich als Johanna wieder einmal neu erfunden. Fast unmerklich tastet sie sich ins Geschehen. Raumgreifende Gestik hat sie zurückgestellt, alles, jede kleinste Regung, spielt sich in den Gesichtszügen ab. Und so ist der vielleicht stärkste Moment ausgerechnet jener, in dem sie nicht singt: Als ihr Vater sie dreimal fragt, zuletzt bei der Seele ihrer Mutter, ob sie eine Frevlerin sei. Die Mundwinkel zucken, die Atmung beschleunigt sich, wann hat sich je Seelenpein so in einem Gesicht gespiegelt? Sie öffnet den Mund, wie um zu sprechen - und bleibt doch stumm. Das ist, im Zusammenspiel mit dem sie anklagenden und an dieser Tat verzweifelnden Vater, großes Musiktheater.
Es findet konsequent Fortsetzung in der Befreiungsszene: Erst berührt Domingo sie nur zaghaft, dann packt er in emotionaler Aufwallung ihre Hände, und sie, erst zu Tränen gerührt, schaltet blitzschnell auf Kampfmodus, auch vokal. Netrebkos Stimmbeherrschung ist atemberaubend. Sie hat weiter ihre Fähigkeit zur Attacke aus dem Nichts, gleichzeitig wird ihr Sopran immer voller, was das Farbspektrum aufs Schönste erweitert. Treffsichere Sprünge in jede Höhe, aber auch nach unten und gleichzeitig ins Piano, ihrer flexiblen Stimme steht alles mit Leichtigkeit zu Gebote.

Das Münchner Rundfunkorchester unter Paolo Carignani wirkte anfangs uninspiriert, ließ sich jedoch, schien es, von den Sängern sukzessive animieren. Abgesehen von schönen Einzelleistungen (Cello und Englischhorn im dritten Akt), oder dem an Feinfühligkeit schwer zu überbietende Duo Netrebkos mit der Soloklarinette in der Sterbeszene kamen wenig Impulse. Auch seitens des Philharmonia Chores Wien wäre gerade bei einem frühen Verdi mehr drin gewesen.

Man darf dem Verdi-Jahr und dem Salzburger Johanna-Schwerpunkt für das Ansetzen dieses Werkes jedenfalls dankbar sein. Es mag nicht Verdis ausgefeilteste Partitur sein, aber sie ist vokal wie instrumental reich an Kleinodien, die es allemal rechtfertigen, diesen Schatz zu heben. Vielleicht hat es auch nur die richtige Besetzung gebraucht.

Weitere Vorstellungen: 10. und 13. 8. Ö1 sendet die Produktion am 17. 8. um 19.30.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 8.8.2013)

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