Genau so muss eine „Tosca“ sein

TOSCA
TOSCAWiener Staatsoper / Michael Pöhn
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Angela Gheorghiu, Marcelo Álvarez und Želkjo Lučić bewiesen, dass man Klassiker nicht „zur Diskussion“ stellen muss. Man muss sie nur richtig aufführen.

Der größte Unsinn, den man uns weismachen will, ist die Annahme, Opernhäuser hätten die großen Klassiker fortwährend in neuen Inszenierungen „zur Diskussion“ zu stellen. Bei „Tosca“ zum Beispiel gibt es nichts zu diskutieren. Das haben Angela Gheorghiu, Marcelo Álvarez und Željko Lučić am Donnerstag bewiesen. „Tosca“ kann man entweder richtig aufführen. Oder man lässt es bleiben.

Diesmal war „Tosca“ zu erleben. Mit Haut und Haar, Weihrauchduft und Pulverdampf, Messerattentat und Folterszene – in Margarethe Wallmanns Inszenierung, in den Dekors, die Nicola Benois einst für die von Karajan dirigierte Premiere malen ließ – und die frisch wirken wie am ersten Tag: Das Innere der Kirche Sant'Andrea della Valle, ein Saal im Palazzo Farnese, die Plattform der Engelsburg; auf dem Plakat steht: „Tosca“, auf der Bühne sieht man – „Tosca“.

Und man hört auch „Tosca“. Und zwar auf Punkt und Komma, Sforzato und Achtelnote. Also, beinah. Denn bei Puccini gibt es vieles, was sich in präzisen Notenwerten nicht niederschreiben lässt, was sich von Sängern zur minutiösen Textgestaltung „zwischen den Zeilen“ nutzen lässt.

Musiker, die verstehen, was Rubato ist

Es ist ja so: Nur wer imstande ist, einen Viervierteltakt in fünf oder dreieinhalb Teile zu teilen, hat verstanden, was das Wort Rubato bedeutet. Es dient nämlich zur Erklärung jenes Phänomens, das Wiener Orchestermusiker, die im Graben der Staatsoper künstlerisch sozialisiert wurden, schlicht damit erklären, dass sie den Herrschaften auf der Bühne zuhören und versuchen, sie bei ihrem Tun behutsam zu begleiten. Dazu braucht es einen Maestro wie Marco Armiliato, der das zulässt und im entscheidenden Moment dafür sorgt, dass die Akzente, die vom Orchester ausgehen müssen, dann wirklich gleichzeitig und mit dem rechten Nachdruck gesetzt werden. Und dass dem blutigen Drama der fieberhafte Puls nicht ausgeht.

Dass bei so viel Energie hie und da ein Fagott zu früh einsetzt, solche Betriebsunfälle verwehen vor dem Feueratem der veroperten Kriminalgeschichte. Und die Musikanten danken den Sängern, indem sie etwa in jenem kurzen Moment, in dem Tosca sich über ihren gemarterten Mario beugt, die Klänge in einer Zärtlichkeit blühen lassen, die selbst die Gheorghiu zu noch mehr vokaler Anschmiegsamkeit provoziert. Vom sonoren Celloquartett im Anflug auf die „blitzenden Sterne“ oder dem butterweich anhebenden Klarinettensolo ganz zu schweigen. Genau deshalb funktioniert eine solche „Tosca“ nur in Wien. Dazu gehören nämlich immer zwei: eine exzellente Besetzung und die Philharmoniker, die als Staatsopernorchester offiziell nicht so heißen, aber so klingen, als dürfte man sie nur Philharmoniker nennen. Bei allen kleinen Schnitzern, wir wissen schon.

Also in Wien und mit Gheorghiu und Álvarez und Lučić, die in „Tosca“ etwas einbringen, was in solcher Konzentration und Intensität lange nicht zu erleben war. Die Gheorghiu, jeder Zoll eine Diva, eitel und kindisch und zerbrechlich und leicht beleidigt und herrisch und übermütig, spielt eine Diva, die alle diese Eigenschaften haben muss. Sie lässt sich im ersten Akt keinen Moment von dem noch etwas zu stark angehobenen orchestralen Lautstärkepegel zum Geschrei hinreißen, zeigt im weiteren Verlauf aber, wo die Primadonna wohnt. Das „Gebet“ singt sie mit einer hoch artifiziellen Linienführung, wie sie seit Langem keine Tosca mehr hören ließ. Selbst die Schlussworte im zweiten Akt kann sie sprechen und singen zugleich – woran schon exquisiteste Vorgängerinnen scheiterten.

Želkjo Lučić gibt einen Baron Scarpia, der selbst im Augenblick der äußersten Erregung ganz zynischer Herrenmensch bleibt und so tut, als könnte man Puccini geradezu verhalten, mit einem Understatement singen, als wäre er ein jüngerer Bruder von Bellini. Man kann! Wenn man kann wie Lučić, oder gar wie Álvarez, der die strahlendsten „Vittoria“-Rufe seit Jahrzehnten hören lässt und andererseits die Sterne in einer ununterbrochenen, aus tiefster Pianissimo-Seele heraus leidenschaftlich anwachsenden Melodielinie zu besingen imstande ist. Mein Gott, wann haben wir eine solche „Tosca“ in diesem Haus gehört?

Man stürme die Wiederholungen am 8., 11. oder 15.September.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.09.2013)

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