Ein Fest für den traurigen Ritter

29. INNSBRUCKER FESTWOCHEN. Francesco Contis "Don Chisciotte in Sierra Morena".

V
or genau 400 Jahren veröffentlichte Miguel de Cervantes den ersten Teil seines satirischen Romans "Don Quijote de la Mancha". Ein guter Anlass für die Innsbrucker Festwochen, abermals die wahrscheinlich früheste darauf basierende Oper zu spielen: "Don Chisciotte in Sierra Morena" von Francesco Conti, dem Hoflautenisten Kaiser Karls VI. Schon vor 13 Jahren hatte sich Festivalchef René Jakobs der originellen Tragicommedia von anno 1719 angenommen, damals - einer TV-Aufzeichnung zuliebe - in stark gekürzter Fassung. Und mochte man vielleicht diese Neuinszenierung angesichts so vieler noch ungehobener Schätze der Barockoper für Luxus halten - warum nicht neuerlich auf ein Meisterwerk aufmerksam machen, diesmal immerhin mit viereinhalb von fünf Stunden spannender Musik?

"Ein erfindungsreicher und feuriger, obgleich manchmal etwas bizarrer Komponist" - so hat Johann Joachim Quantz, Berliner Flötenvirtuose und Musiktheoretiker, den 1682 in Florenz geborenen Conti charakterisiert. "Bizarr" - das meint, für uns Heutige durchaus positiv zu werten, kühne harmonische Wendungen, manch scheinbar sperrige Melodieführung oder auch die beiden köstlichen Streitgespräche zwischen Sancho Pansa und der Magd Maritorne, das erste über der zündenden Basslinie der "Folie d'Espagne" komponiert.

Wer René Jacobs kennt, weiß, dass er sich an solchen und ähnlichen Stellen die Entfachung echt "spanischen" Kolorits mit Gitarren und Kastagnetten nicht entgehen lassen kann. Überhaupt hält Jacobs bekanntlich nichts von einer "kargen Instrumentalbegleitung", wie sie noch 100 Jahre später ein anderer Schriftsteller an Conti feststellte. Namentlich die Rezitative hat Jacobs mit den buntesten, geistreichsten Effekten ausstaffiert, die doch stets im Dienst der Bühnenhandlung stehen. Sparsamer ging er mit den Arien um - da eine hinzukomponierte Gegenstimme, dort eine zusätzliche Instrumentalfarbe -, wer nicht partout ein "originales" Klangbild erleben wollte, durfte sein helles Vergnügen daran haben.

Zumal Jacobs die Akademie für Alte Musik Berlin mit aller Strenge zu einem lockeren, eleganten, durchsichtigen Spiel anhielt und auch heuer wieder mit bewährter Spürnase ein Ensemble junger, so stimmschöner wie stilsicherer Innsbruck-Debütanten versammelt hatte. Da waren die leichten, beweglichen Soprane von Olga Pasichnyk, Gaële Le Rois und Sunhae Im, der koloraturgewandte Countertenor von Franco Fagioli, der grundmusikalische Tenor des zugleich singenden und geigenspielenden (!) Johannes Chum, der humorvolle Bariton von Fulvio Bettini als Sancho Pansa. Einer Männerstimme zum Verwechseln ähnlich klang der Mezzo von Mario Streijffert in einer ehemaligen Kastratenrolle. Ein Wiederhören gab es mit dem substanzreichen Sopran von Inga Kalna, aus dem Jahr 1992 ragten in die Neuproduktion der rührende Don Quijote von Nicola Rivenq mit seinem flexiblen Tenorbariton und der urkomische Barbier des unentbehrlichen Dominique Visse mit seinem durchdringenden Counter herüber.

Ungetrübtes Vergnügen bereitete auch die ebenso kluge wie witzige Inszenierung von Stephen Lawless. Benoit Dugardyn hatte ihm das spektakuläre Bühnenbild gebaut: Überlebensgroße Reihen von Büchern der Weltliteratur. Darin wird Don Quijotes verhängnisvolle Lesewut konsequent zu Ende (und ins Heute) gedacht: Die Freunde des Ritters, die ihn aufspüren und heimholen sollen, treten als Sherlock Holmes und Dr. Watson auf, der aus Liebesgram in die Einöde geflohene Liebhaber als Robinson Crusoe, seine Geliebte als Alice im Wunderland und Lolita, ihre unfreiwillige Rivalin, als Fee aus Grimms Märchen (Kostüme: Lionel Lesire). Ebenso wenig dürfen Carmen und Escamillo oder die drei Musketiere fehlen - was in der Aufzählung banal wirken mag, entfaltet in der überzeugenden Personenführung des Regisseurs blühendes Leben.

Vielleicht der Höhepunkt des begeistert aufgenommenen Abends im Innsbrucker Landestheater: Das zauberhafte Ballett der Marionetten aus Don Pedros Puppenspiel (Choreografie: Lynne Hockney). Und wenn das Spiel zuletzt in die tragische Einsamkeit eines Irrenhauses umkippt, so ist auch das von bezwingender Eindringlichkeit.

Weitere Termine: 16., 22. und 25. August

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