In Linz ist Walhall ein griechischer Tempel

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Neuer "Ring" im neuen Musiktheater. "Rheingold" als Auftakt: großer Jubel für den musikalischen Part unter Dennis Russell Davies, leichte Skepsis für Uwe Eric Laufenbergs gediegene Inszenierung zwischen Hellenismus und Orient.

Tatort. Was sonst? – Unter einem Pseudonym betrachtete vor beinah einem halben Jahrhundert ein Jurist „Richard Wagners ,Ring des Nibelungen‘ im Lichte des deutschen Strafrechts“ und stieß dabei selbstredend auf ein abscheuliches „Konglomerat von Verbrechen schwersten Kalibers“, das schon am Vorabend des Bühnenfestspiels in einem Brudermord einen ersten Höhepunkt erreicht. Einige Jahre jünger ist der berühmte Vorspann der Krimireihe „Tatort“, dessen Schöpferin Kristina Böttrich-Merdjanowa letzten Jänner gestorben ist: Der schmale Sehschlitz und das Augenpaar sind in unser kulturelles Gedächtnis eingegangen.

Wenn nun in Linz im neuen Musiktheater – ein stolzer Saal, ein prangender Bau wie Walhall, aber jedenfalls klüger finanziert – Wagners „Ring“ eine standesgemäße Neuinszenierung erleben soll, dann ist vom Beginn des „Rheingolds“ an klar, dass hier eine Verbrechergeschichte gezeigt wird. Am Beginn und in den Zwischenspielen steht nämlich ein solcher „Tatort“-Sehschlitz.

Denn Bühnenbildner Gisbert Jäkel gewährt uns in diesen Minuten immer nur einen die ganze Bühnenbreite erfassenden, aber niedrigen Einblick (Falk Sternberg füllt diesen mit Videoprojektionen), lässt uns die erste Szene am Grunde des Rheins gar durch eine dann große mandelförmige Begrenzung sehen: das Auge als Symbol für uns Voyeure, die sich mit Krimi-Thrill am Schicksal anderer delektieren.

Dabei kam bei diesem „Rheingold“, nehmt alles nur in allem, eher das Ohr auf seine Kosten. Chefdirigent Dennis Russell Davies hat mit dem Linzer Bruckner-Orchester penible Einstudierungsarbeit geleistet, und abgesehen von kleinen Irritationen und Unsicherheiten konnten am Premierenabend die Früchte dieses Fleißes eingefahren werden: So gleichmäßig und sauber kräuseln sich etwa die Streicherwellen durchaus nicht immer und überall. Das Streben nach Noblesse reichte von schön formulierten Details (Klarinettensoli!) bis zu den nie in Plakativität abgleitenden Tuttistellen.

Wortdeutlicher, wendiger Loge

Aber: In den immer wieder rezitativischen Passagen fehlte Russel Davies eine gewisse Flexibilität, die sich an den lebendigen Dialogstrukturen des Textes stärker orientieren sollte als an streng beibehaltenen Tempi. Indem er am Pult auf etwas gestelzter Monumentalität beharrte, schlug die wohl beabsichtigte Größe oft in Trägheit um: ein Hemmschuh für die Gesamtwirkung des Abends, dem der konzise große Bogen dadurch fehlte.

Kein Wunder freilich, dass dem Dirigenten die Sänger in der Hitze des Bühnengefechts oft vorauseilen wollten – etwa Michael Bedjai, der mit hellem Tenor und mit gutem Ausgleich zwischen Charakterschärfe und Kantabilität einen ungemein wortdeutlichen, wendig-intelligenten Loge gab: einer der Glanzpunkte in der insgesamt höchst respektablen, weitgehend aus dem Linzer Ensemble gespeisten Besetzung, aus der noch Matthäus Schmidlechners grandios präziser Mime und der schlank und schön singende Dominik Nekel (Fasolt) hervorstachen.

Etwas vorsichtiger Wotan

Als Gäste waren da nur die zentralen Kontrahenten Wotan und Alberich aufgeboten, wobei der Nibelung stimmlich und darstellerisch eindeutig die Nase vorn hatte: Der bereits 70-jährige, verdiente Heldenbariton Oskar Hillebrandt (2007 rettete er die Wiener „Walküren“-Premiere als Wotan-Einspringer) ist Routinier im besten Sinne, mag sich gesanglich schon einige Freiheiten leisten, klingt aber immer noch imposant und ist als geschundene Figur stets präsent. Dagegen wirkte Gerd Grochowski als jugendlich-lyrischer, lange Zeit etwas schmal und vorsichtig tönender Göttervater recht passiv, zaudernd, ja sogar unauffällig: Die Regie allein ist dafür nicht verantwortlich zu machen.

Ja, die Regie: In Linz geschieht jedenfalls nichts, was die „unbeschuhten Wagnerianer“ (wie Herbert Rosendorfer die radikale Verehrerfraktion des Komponisten genannt hat) auf die Barrikaden treiben könnte; auch Bilderstürmer, die schon alles gesehen und trotzdem Neues erleben wollen, werden enttäuscht. Wie sich das im Gefüge des ganzen „Rings“ ausnimmt, wird sich herausstellen.

Interessant an Uwe Eric Laufenbergs bis auf einige erwartbare Stolperstellen unaufgeregt gediegener Inszenierung ist jedenfalls, wie konkret der Schauplatz zeitlich und kulturell definiert wird: fernab mythischen Ungefährs oder westlicher Gegenwart, sondern am Schnittpunkt zwischen Nomadentum und Sesshaftigkeit, Vorderem Orient und Hellenismus. Die meisten Kostüme sind daher auch vom Nahen Osten inspiriert (Antje Sternberg), und seit Schneider-Siemssens märchenhaften Götterburgen dürfte Walhall nicht mehr so eindeutig gezeigt worden sein– als griechischer Tempel nämlich. Sein Modell ruht in Wotans Bauzelt auf Möbelkisten, und seine riesigen Bronzetore zwischen kannelierten Säulen beherrschen das letzte Bild, wenn die livrierte Dienerschaft die Handarbeit erledigt und Freias ungleiche Kinderschar zum Einzug Blüten gestreut hat.

Fasolt, von Freia betrauert, bleibt unbeachtet liegen, erstochen mit einem Zirkel, mit dem die Kleinen ungerührt herumspielen, Wotans Speer nachahmen: Die Sünden der Väter, die „Walküre“ muss es zeigen, werden an den Kindern gestraft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.10.2013)

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