Rolando Villazón: Von Beginn an hypersensibel

AP (Axel Zeininger)
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Staatsoper. Rolando Villazón ist wieder da – und geht in Massenets „Werther“ an seine Grenzen. Seine dramatischen Ausbrüche sah man mehr, als man sie hörte.

Da war Rolando Villazón sichtlich gerührt: Als der mexikanische Tenor nach monatelanger gesundheitsbedingter Zwangspause am Samstag erstmals wieder vor die musikalische Öffentlichkeit trat, um an der Wiener Staatsoper Massenets Werther zu geben, hieß ihn ein herzlicher Auftrittsapplaus willkommen, der die Vorstellung gleich einmal stoppte. An diesem Abend stand, das machte die emotionale Geste und zugleich sportive Anfeuerung deutlich, vor allem die wiedererlangte Form des Hauptdarstellers im Mittelpunkt, weniger das beklagenswerte Schicksal von Goethes tragischem Helden.

Immerhin waren ja nicht bloß die Wiener Opernfreunde glücklich, den rasch lieb gewonnenen, zuletzt aber schmerzlich labilen Star endlich wieder live erleben zu können, sondern erst recht jene Fans, die aus nah und fern angereist waren. Manch einer hatte da wohl auch gehörig gebangt, bevor er in den ebenso begeisterten wie ausdauernden Jubel mit einstimmte, der sich am Ende über den freudestrahlenden Tenor ergoss.

Zum Comeback hochstilisiert

Der war insofern berechtigt, als Villazón mit der zusätzlichen Nervenbelastung dieses zum Comeback hochstilisierten Auftritts gut und unfallfrei zurecht kam. Auch das übrige Ensemble wurde mit Recht gefeiert: die nobel leidende und liebende Charlotte der Sophie Koch, der tadellose Markus Eiche als anständiger Langweiler Albert mit markantem Bariton, die vergeblich in Richtung Werther aufblühende Sophie der Laura Tatulescu. Darstellerisch dominierte freilich Villazon, indem er schlüssig einen von Beginn an hypersensiblen, zwischen psychischen Ausnahmezuständen lavierenden Charakter zeichnete, dem die gesunde Mitte längst abhanden gekommen ist: Werther als kranker Mensch, der durch die widrigen Umstände unausweichlich auf sein gewaltsames Ende zuzusteuern scheint.

Vokal hinterließ er dabei die tiefsten Eindrücke dort, wo es galt, zarte Empfindsamkeit in schön geformten Gesangsphrasen zu vermitteln – etwa bei den Reminiszenzen an die Musik- und Literaturbegegnungen, die ihn mit Charlotte verbunden hatten. Sophie Koch wusste da an stimmlicher Feinzeichnung bestens mitzuhalten und ließ vergessen, dass sie sich in Andrei Serbans Inszenierung noch nicht völlig zurechtfinden konnte: Die spezifische Nierentisch-Tristesse, die ihre freudlose Ehe mit Albert im Stil der 1950er unter dem stimmungsvoll kahl gewordenen Riesenbaum (Bühne: Peter Pabst) prägt, bedarf für sie wohl noch etwas der Gewöhnung.

Doch neben ihrem ungehindert strahlenden, (abgesehen von einem Anflug von Härte im Brustregister) ausgeglichenen und expansionsfähigen Mezzosopran wurden Villazóns Schwächen doppelt deutlich. Sein relativ dunkles, cremiges Timbre, das nicht von Ungefähr an seinen Mentor Domingo erinnert, suggeriert mehr Volumen und größere Belastbarkeit, als in Wahrheit zur Verfügung stehen. Massenet fordert ja von seinem Werther nicht bloß innige Lyrismen, sondern auch die Fähigkeit zu dramatischen Ausbrüchen – und die hat man bei Villazón mehr gesehen als gehört.

Das hohe h versuchte er gar nicht

Immer wieder nämlich wurden seine Spitzentöne, nicht bloß in der Ossian-Arie, einfach zugedeckt – und das, obwohl Dirigent Marco Armiliato sowie das nach anfänglichen kleinen Unsauberkeiten höchst engagiert und flexibel agierende Staatsopernorchester sich durchaus nicht in plumper Kraftmeierei verrannten. An Obertonglanz und damit Tragfähigkeit scheint Villazóns Tenor in den Monaten der Ruhe, soweit man das nach einem Abend vorsichtig abschätzen darf, jedenfalls nicht gewonnen zu haben. Dass er zudem das heikle hohe h in „Lorsque l'enfant“ gegen Ende des zweiten Aktes sicherheitshalber gar nicht versuchte, mochte zum Teil der Nervenschonung eines Sängers dienen, der niemals als Höhenritter bekannt war, untermauerte aber gleichzeitig die Diagnose, dass es sich beim Werther klar um eine Grenzpartie für ihn handelt.

Seine Krankheit mag Rolando Villazón überstanden haben. Jetzt muss er freilich noch seine Gesundheit überstehen.

VILLAZÓN: Nächste Auftritte

Staatsoper: Werther: 8., 11.1.; Manon (mit Norah Amsellem): 18., 21., 25.1.

Paris, Théâtre des Champs-Élysées (Intendant: Dominique Meyer, der künftige Direktor der Wiener Staatsoper): Konzert mit Tenor-Kollegen Juan-Diego Flórez, 8.7.

Salzburger Festspiele: Roméo et Juliette (mit Anna Netrebko): 2., 6., 9., 12., 15., 19., 22., 25.8.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.01.2008)

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