Was lange währt

Staatsoper
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Was ist besser: Jahrzehntelang derselben Inszenierung einer Oper treu bleiben oder in der Regie mit der Zeit gehen? Beides ist nicht ganz falsch, das weiß auch Christian Thielemann.

Zu den unausrottbaren Klischees in Texten über Gegenwart und Zukunft der Oper gehören die Seitenhiebe auf alte und uralte Inszenierungen, die in Repertoirehäusern wie der Wiener Staatsoper angeblich den Fortschritt aufhalten. Genauso gut könnte man selbstverständlich das Gegenteil behaupten und angesichts mancher szenischer Hinrichtungen von Opernklassikern durch fortschrittliche Regisseure auch feststellen, dass ein geregelter Betrieb bei vollen Häusern nur noch möglich ist, weil Produktionen übrig geblieben sind, die Stücke noch so erzählen, wie sie im Libretto stehen.

Die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo zwischen den ­beiden Thesen – und zwar eher in der Nähe der zweiten Behauptung. Faktum ist, dass Werke des großen ­Repertoires aufgrund dümmlicher, unpraktikabler Inszenierungen nicht mehr gespielt werden können, Verdis „Troubadour“ oder, schmerzlicher, weil hier eine bedeutende Aufführungstradition, die ein wienerisches Spezifikum war, unterbrochen wurde, Pfitzners „Palestrina“.

Wahr ist auch, dass bei etlichen Inszenierungen, die in der jüngeren Geschichte Premiere hatten, jedenfalls nicht von einer Verbesserung gegenüber der Zeit davor die ­Rede sein kann. „Tristan und Isolde“, „Lohengrin“ oder „Manon Lescaut“ stellen die schlimmsten ­Beispiele für drastische Verschlechterungen der Optik dar. In ­manchen Fällen kann man von Glück sagen, dass der ästhetische Abfall gegenüber den abgelösten Produktionen nicht allzu krass ausgefallen ist.

Doch Feuilletonisten spotten trotz all dieser Erfahrungen gern über die Tatsache, dass man sich in Wien bisher nicht über die Neuinszenierung von Werken wie „Tosca“ oder „La Bohème“ gewagt hat. Nun hat das aber seine guten Gründe. Denn was, so fragt sich der Opernfreund, sollte an einer „Tosca“ gegenüber der, zugegeben, aus den späten Fünfzigerjahren stammenden Inszenierung Margarethe Wallmanns verbessert werden? Das Werk, das dem künstlerischen Verismo zuzurechnen ist und ein hyperrealistischer Krimi samt Liebesgeschichte ist und bleibt, spielt in Rom, der erste Akt in der ­Kirche ­Sant’­Andrea della Valle, der zweite in den Gemächern des Polizeichefs der Stadt im Palazzo Farnese und der dritte auf der Plattform der Engelsburg. Wie es dort aussieht, weiß jeder, der schon einmal in Rom war. Nur die Kirche des heiligen Andreas schaut ein bisserl anders aus als auf der Staatsopernbühne dargestellt. Aber das ist nur für Kunsthistoriker relevant. Opernbesucher sehen den Innenraum einer Kirche samt der fürs Versteckspiel ­dringend nötigen Seitenkapelle.

Die Opernwelt in Ordnung

Der Rest – und auf den kommt es an – ist Gesang; es braucht einen exzellenten Sopran, der das Format hat, eine Diva darzustellen. Dazu einen Tenor mit Schmelz in der Stimme und sicheren Höhen für die „Vittoria-Rufe“. Und einen Bassbariton, der so richtig fies wirken kann. Wenn nach drei Stunden ­alle drei perfekt gestorben sind, ist die Opernwelt in ­Ordnung. Kein Mensch – außer ein paar Kritikern – sehnt sich nach einer Neuinszenierung, nach einer, die womöglich ­abstrahiert oder das Geschehen zwischen die Regale eines Supermarkts verlegt.

Bevor sich also nicht ein Regisseur findet, der verspricht, „Tosca“ auf Punkt und Komma wirklich zu erzählen, muss man „Tosca“ keine neue Premiere widmen. Dasselbe gilt für die „Bohème“, um bei Puccini zu bleiben, denn dass Franco Zeffirellis Bilder bis heute, 45 Jahre nach der Premiere, Applaus bekommen, wenn der Vorhang sich öffnet, spricht für sich.

Warum mir das alles gerade einfällt? Weil sich manche Kommentatoren wundern, dass Christian Thielemann nicht auf eine Neuinszenierung bestanden hat, als er den Vertrag für die Leitung der Aufführungsserie von Wagners „Meistersinger von Nürnberg“ unterschrieb, die er ab 12. Jänner in der Staatsoper leitet.

Verlottert?

Otto Schenks Produktion ist schon über ­dreißig Jahre alt. Und sie ist, im Gegensatz zu besagten Puccini-Klassikern, tatsächlich während der ­vergangenen Jahre reichlich verlottert. Die einst so saftig ausgespielte ­„Prügelfuge“ wurde aus Einsparungsgründen beinah sämtlicher Statisten entledigt und wirkte zuletzt wie ein seltsamer szenischer Ableger des „Weihnachtsoratoriums“.
Und doch: Gerade ein Werk wie die „Meistersinger“ ist vor sogenannten Neudeutungen samt historischen und zeitgeschichtlichen Anspielungen nicht sicher – was bei Festspielen für spannenden Diskussionsstoff sorgen mag, in einem Repertoirehaus aber schlicht dazu führen würde, dass auch dieses Stück über kurz oder lang nicht mehr gespielt werden könnte. Kein Sänger würde sich mehr auf der Bühne zurechtfinden und das Ensemble sich aus Versehen vielleicht zuletzt in den Burggarten verirren, weil sonst weit und breit keine Festwiese zu finden ist. Also: Wiederaufnahme einer Uraltproduktion, sozusagen zur Sicherheit. Immerhin soll die Aufführung auch für eine Videoverwertung mitgeschnitten werden. Und wer eine DVD kauft, hofft doch, dass er das Stück erkennen möge, dessen Titel außen draufsteht.

Solange noch ein paar Schenk-Inszenierungen im Repertoire stehen, ist wenigstens darauf Verlass. Die Frage, warum man den Regisseur nicht einmal bittet, seine Inszenierungen selber aufzufrischen, hat bis heute niemand beantwortet. Immerhin hält die Staatsoper aus Schenks Zeit als Hauptregisseur des Hauses neben Donizettis „Liebestrank“ noch Beethovens „Fidelio“ und Strauss’ „Rosenkavalier“ im Repertoire. Nicht einmal als Carlos Kleiber für Letzteren ans Pult ging, war Schenk selbst aktiv. Dabei ist gerade der „Rosenkavalier“ das beste Beispiel für ein Werk, das man etwa bei den Salzburger Festspielen gern einmal aus ungewöhnlicher Perspektive beleuchten lässt, im Opernalltag aber möglichst unbehelligt wissen möchte. Jedenfalls, so lange die Bearbeitungs- und Umdeutungswut der Regisseure nicht endlich abflaut und jenem von Otto Schenk so gern zitierten Wahrspruch weicht, der da lautet: „Ich versuche immer, echtestes, wahrhaftigstes Theater zu machen. Was mir dabei nicht gelingt, ist mir Verfremdung genug...“

Tipp

Die Meistersinger von Nürnberg dirigiert von Christian Thielemann: Wiener Staatsoper, 12., 16., 19., 23., 26.1. Tel. 01/514 44-22 50

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