Ein Fest, nehmt alles nur in allem

Wr. Staatsoper (Axel Zeininger)
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Staatsoper. Grandios trotz Umbesetzungen: Christian Thielemann dirigierte erstmals die „Meistersinger“ in Wien.

Auch wenn es sich um keine Premiere, sondern die Neueinstudierung einer 33 Jahre alten Inszenierung handelte und manche Besetzungsänderung in letzter Minute in Kauf genommen werden musste: Ein Fest, nehmt alles nur in allem. Manchmal hat der Operndirektor eben Glück. Dass Johan Botha nach der Generalprobe von einem Virus befallen wurde und den Stolzing nicht singen konnte, rief einen Kollegen auf den Plan, der sich von dieser Partie zwar schon verabschiedet hat, aber in der Wiener Staatsoper noch einmal die Endlos-Strophen des „Preisliedes“ wagen wollte: Peter Seiffert fungierte als Retter in vorletzter Minute. Ein Wiener Tenor gesellte sich ihm im allerletzten Augenblick noch zur Seite, denn auch der David, Michael Schade, wurde krank. Norbert Ernst, der zuletzt im heftig diskutierten „Meistersinger“-Beitrag von Komponisten-Urenkelin Katharina Wagner in Bayreuth brilliert hatte, debütierte mit einem Husarenstück ohne Probe in seiner Heimatstadt – und siegte auf ganzer Linie.

Genau genommen war ihm das nur möglich, weil die Wiener Inszenierung der „Meistersinger“ schon bei ihrer Premiere, anno 1975, keine Diskussionen aufkommen ließ. Otto Schenk ließ von Jürgen Rose ein Bühnenbild wie aus dem Märchenbuch bauen, das heute tatsächlich aussieht wie die Illustrationen in einem alten Kinder-Pappband mit herausklappbaren Seiten – und das doch einen Rahmen bietet, in dem auch ein Einspringer sich zurechtfindet und seine Rolle ungehindert ausspielen kann.

Norbert Ernst gelang das phänomenal. Er gibt den Lehrbuben quicklebendig und mit charmantem Teenager-Elan. Vor allem aber singt er die Partie exzellent, hat für die einzelnen „Töne und Weisen“, die er dem verdutzten Ritter im ersten Akt vorexerzieren muss, immer neue, erstaunliche Stimmfarben bereit. Der Magdalene, ihm zur Seite, schenkt Michaela Selinger alle Phrasen, die Wagner ihr zudenkt, fein gedrechselt. Dass die zarte, hübsche Erscheinung des öfteren als „die Alte“ tituliert wird, ist der einzige Punkt, der in diesem Fall an eine Fehlbesetzung denken lässt.

Exquisit: Adrian Eröd als Beckmesser

Selinger war eine jener vielen Debütantinnen, die am Samstag planmäßig auf der Bühne stehen sollten. Ein Wagnis schien auch die Besetzung des Sixtus Beckmesser mit Adrian Eröd. Noch ein Wiener Sänger, der an diesem Abend einen triumphalen Einstand feiern durfte. Eröd hat sich für die ungeliebte Kritiker-Karikatur ein exquisites Konzept zurechtgelegt, das er bis in subtile Nuancen von Gebärde und Gesang realisiert, als hätten ein Regisseur und ein musikalischer Leiter monatelang mit ihm an der künstlerischen Gestaltung gearbeitet.

Dieser Beckmesser steht in seiner paranoiden Mischung aus Korrektheitswahn und Profilierungssucht auf Augenhöhe mit der dominierenden Figur des Hans Sachs, den Falk Struckmann – auch er erstmals im Haus am Ring – souverän und hintergründig-komödiantisch zum Bühnenleben erweckt.

Der Dialog zwischen diesen beiden Protagonisten in der Schusterstube wurde zu einem der Höhepunkte der umjubelten Aufführung. Da saß jede Pointe, jeder Blick, jede Geste. Ein Muster an Wortdeutlichkeit, war es Struckmann schon zuvor gelungen, die Schlüsselstellen, insbesondere den „Wahnmonolog“, zu kunstvoll differenzierten Musiktheater-Ereignissen zu formen. Derselbe Künstler, der in manchen Momenten ausgelassen, zu allem Schabernack des witzigen, durchaus auch ein wenig bösartigen Zeitgenossen aufgelegt scheint, offenbart dann grübelnd die Vielschichtigkeit seines Seelenlebens.

Das Spannungsverhältnis, das dieser Sachs zur koketten, doch liebenswerten Eva Ricarda Merbeths aufbaut, ist denn auch von jener Intensität, die erkennen lässt, welche Dimensionen analytischer Kunst Richard Wagner in dieser Menschheits-Komödie erschließt. Wenn der weich-samtene Sopran Merbeths lupenrein das Ges-Dur-Quintett anführt, dann löst sich ein Handlungsknoten, der zuvor über fünf Stunden unausweichlich geknüpft wurde – auch und vor allem, weil im Orchestergraben mit Christian Thielemann ein Gestalter von allerhöchstem Format waltete.

Feinster Klangsinn ab dem Mittelakt

Mag sein, man mochte diesmal im ersten Akt noch manche Differenz entdecken zwischen dem, was der Dirigent anzubahnen versuchte, und dem, was das klanglich zunächst etwas aufgeraut wirkende Orchester realisierte. Ab dem Mittelakt schien man sich in allen Punkten einig – und über die zwei Stunden des dritten Aufzugs herrschte ein sinnlich-schöner, feinst abgestufter Klangsinn, in allen Stimmen bis in die kleinsten Einwürfe Harmonie mit den Seelenvorgängen der Darsteller, ein über alle Szenen gewölbter architektonischer Plan, der diese Wiederaufnahme zu jenem Ereignis machte, das sich das Publikum von der Papierform her wohl von Anbeginn erwartet hatte – allen Umbesetzungen zum Trotz; oder gerade mit ihnen, denn auch Peter Seiffert, der strahlend begann, hielt sich den kräfteraubenden Anforderungen seiner Partie gegenüber bis zum letzten Ton wacker. Und mancher Sänger des Ensembles nutzte seine Chance, einen Charakter zu zeichnen, von Alexander Kaimbachers Kunz Vogelgesang, der das in Sekunden schaffen muss, bis zu Ain Angers solidem Pogner und Wolfgang Kochs luxuriösem Kothner.

Damit nicht genug, bleibt das Wiener „Meistersinger“-Leben in den kommenden Tagen spannend: Wer wird die nächsten Aufführungen singen – und wird die geplante Aufzeichnung für eine DVD-Produktion stattfinden können?

THIELEMANNS MEISTERSINGER

Sein Bayreuther Debüt gab Christian Thielemann im Jahr 2000 mit den „Meistersingern“ – in einer Inszenierung von Wolfgang Wagner. In Wien dirigiert er sie noch am 16., 19., 23. und 26. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.01.2008)

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