Hellsberg unter Beschuss: "Absurd und infam"

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Österreichische Historiker üben schwere Kritik am Vorstand der Wiener Philharmoniker. Sie sollen NS-Forschern den Archivzugang verweigern. Hellsberg wehrt sich.

Eine überraschende Wendung hat am Mittwoch die Pressekonferenz zur Staatsopernausstellung "Opfer, Täter, Zuschauer" anlässlich 70 Jahre "Anschluss" genommen: Österreichische Historiker, darunter NS-Experte Oliver Rathkolb, übten schwere Kritik am Vorstand der Wiener Philharmoniker Clemens Hellsberg. Er verwehre jungen Wissenschaftlern, die zur Geschichte der Philharmoniker zwischen 1938 und 1945 forschen wollten, den Zugang zum historischen Archiv des Orchesters. Hellsberg nennt die Vorwürfe der "Presse" gegenüber "absurd und infam".

Sie habe vergeblich versucht, Dokumente des Archivs einzusehen, etwa die Protokolle der Verwaltungsausschusssitzungen, erzählt Bernadette Mayrhofer. In ihrer Diplomarbeit wollte sie der Vertreibung von Wiener Philharmonikern aus dem Orchester nach 1938 und der versäumten Reintegration nach 1945 nachgehen. Sie habe einige Male bei den Zuständigen angerufen, habe jedoch nie einen Rückruf erhalten, auch ein Brief sei unbeantwortet geblieben. Hellsberg habe ihr nur telefonisch ausrichten lassen, dass zeithistorisch aufschlussreiche Daten ohnehin "zur Gänze" in seinem Buch "Demokratie der Könige" verarbeitet seien.

Auch der an der Uni Wien lehrende Zeithistoriker Oliver Rathkolb zeigte sich in der Pressekonferenz "sehr unangenehm berührt", er spricht sogar von einer "Hinhaltetaktik" des Vorstands. Einer seiner Dissertanden, Fritz Trümpi, der die Geschichte der Berliner und Wiener Philharmoniker vergleichen wollte, habe vergeblich gebeten, die Protokolle der General- und Komiteeversammlungen zwischen 1934 und 1945 einzusehen, erst nach eineinhalb Jahren habe er die Erlaubnis bekommen.

"Nicht verpflichtet, Archiv zu führen"

"Wir sind ein privater Verein und sind weder verpflichtet, ein Archiv zu haben, noch es zu öffnen", wehrt sich Hellsberg. Da könnten im Extremfall eben auch hohe Wartezeiten auftreten. "Seit einiger Zeit haben wir ohnehin eine zusätzliche Mitarbeiterin engagiert, um die Wartezeiten zu reduzieren. Der Herr, der das derzeit betreut, ist seit zehn Jahren pensioniert, ich selbst kann mich nicht so mit dem Archiv befassen, wie ich gerne würde. Diplomanden und Dissertanden muss man auch wissenschaftlich begleiten. Und ich muss darauf achten, dass nicht durch die Veröffentlichung interner Sitzungsdokumente Menschen verletzt werden, dass nicht etwa private Streitigkeiten gaghalber veröffentlicht werden."

Hellsbergs große Philharmoniker-Chronik erschien 1992 und wurde als erste Aufarbeitung der eigenen NS-Vergangenheit durch die Philharmoniker gefeiert. Das Buch enthalte "gravierende Fehlinformationen", kritisiert Mayrhofer, die für ihre Arbeit nun vor allem auf Unterlagen des Staatsarchivs zurückgegriffen hat. So sei der Geiger Leopold Föderl, der nach seiner Flucht in Chicago ein erfolgreicher Dirigent wurde, nicht, wie in Hellsbergs Buch angegeben, 1945 aus dem Exil zurückgekehrt. "Er hoffte, als Dirigent zurückkommen zu können, wurde aber schroff abgewiesen, andere Kandidaten, die in der NS-Zeit groß Karriere machten, wurden ihm vorgezogen."

Auch die Forschung schreite eben fort, sagt Clemens Hellsberg, Fehler könnten in jedem wissenschaftlichen Werk unterlaufen. Er sei umso erstaunter über die plötzlichen Angriffe auf der Pressekonferenz, als er von den Verantwortlichen der Staatsopern-Ausstellung weder um Mitarbeit noch um irgendwelche Dokumente für die Schau gebeten worden sei.

STAATSOPER: 70 Jahre danach

Vom 10.3. bis 30.6. zeigt die Oper die Schau „Opfer, Täter, Zuschauer“. Direktor Holender hat zudem Hrdlickas Skulptur „Der Schreibtischmörder“ von 1983 ins Haus geholt – dort soll sie auch verbleiben, zum dauerhaften Gedenken an die NS-Opfer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.03.2008)

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