Zwei Seiten von Richard Strauss' Heldenmedaille

(c) Clemens Fabry
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Jubel für Strawinskys "Sacre du Printemps" als wilden Urzeit-Swing und für großmächtigen Richard Strauss mit der Staatskapelle Berlin. Brahms näherten sich Maurizio Pollini und der Dirigent höchst unterschiedlich.

Die zwei Seiten der Strauss'schen Heldenmedaille an einem Abend: Es muss schon ein Jubeljahr wie das heurige ins Land ziehen, dass die beiden als Pendants konzipierten Tondichtungen wieder einmal hintereinander erklingen können – also der wirre Schatten des Heroismus, der sich in „Don Quixote“ als die Verblendungen des Ritters von der traurigen Gestalt zeigt, und die ironisch gebrochenen Ego-Zelebrationen des „Heldenlebens“.

Nicht jedes orchestrale Detail fand da rechtzeitig an seinen Platz, und gerade bei Tutti-Passagen führte Daniel Barenboims Spontaneität in Tempofragen zu einigen Wacklern. Aber am Pult seiner Staatskapelle Berlin und ihrem immer wieder mächtig aufrauschenden, erdhaft dunklen Klang konnte er mit manchmal minimalistischer, dann wieder plakativ-riesenhafter Gestik vor allem zweierlei erzielen: Zum einen die Betonung der Modernität mancher Stellen. Selten hat man etwa die blökende Hammelherde, gegen die Quixote in seinem Wahn zu Felde zieht, dermaßen atonal zugespitzt vernommen – oder die Holzbläsersticheleien der Kritiker im „Heldenleben“ so keifend und nervig. Kompositorisch ist beides durch den programmatischen Hintergrund gedeckt, aber Barenboim zog hier die Schraube bewusst fester an: Strawinskys „Sacre“ vom Vorabend rückte dadurch näher.

Don Quixotes Marotten

Zum anderen durfte die Musik in breiter Sämigkeit strömen. Begann „Don Quixote“ schon besonders duftig, zart und feindgliedrig, bezauberten vor allem die in traumverlorener Lyrik sich entfaltenden Epiloge beider Werke durch ihre singende Intensität. Claudius Popp, jüngster Solocellist der Staatskapelle, ließ den Ritter mit einem besonders bewegenden Glissandoseufzer sein Leben aushauchen; zuvor hatte er mit dem Bratscher Felix Schwartz die rustikalen Schrullen und expressiven Marotten des Herrn und seines Knappen voll ausgekostet. Konzertmeister Wolfram Brandl hingegen stellte dem Helden eine glühend kapriziöse Gefährtin zur Seite, die schmeichelte und zürnte, aber nie zur Kratzbürste wurde.

Zwei Seiten der Medaille waren freilich schon am Abend zuvor bei Brahms' 1. Klavierkonzert zu vernehmen gewesen. Denn Barenboim und Grandseigneur Pollini näherten sich dem Werk doch klar von verschiedenen Seiten. Nicht ganz so pompös wie an den monumentalsten Passagen bei Strauss, aber doch in pastoser Breite türmte Barenboim den Orchesterpart zu dramatischem Dröhnen auf, das bei aller schweren Bassgewalt doch erstaunlich viel an kontrapunktischer Durchhörbarkeit behielt. Pollinis Musizierweise ist anderen Idealen verpflichtet. Mag er auch nicht mehr über alle Kraft von früher verfügen, setzte sich sein kantabler, satter Klavierton doch gegen die Klangwogen durch. Pollini spielt schlanker, zügiger, zielgerichteter als Barenboim, steuert auf das Ende von Phrasen hin, während sich der Dirigent in ihnen suhlt. Die Gegensätze formten indes einen anregenden Wettstreit. Das Wilde, Ungezügelte des „Sacre“ machte die Staatskapelle danach mit dem nötigen Mut zum Hässlichen begreifbar: Keine virtuose Glätte, sondern eine Art Urzeit-Swing hatte Barenboim im Sinn, störrisch, explosiv – ein mitreißender Opfertanz, dem besser keine Zugaben (Sibelius, Tschaikowsky) gefolgt wären.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.05.2014)

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