Opernfestspiele München: Tell im grauen Säulenwald

Vielfältige Charaktere haben in dem monochromen Bühnenbild keinen Raum.
Vielfältige Charaktere haben in dem monochromen Bühnenbild keinen Raum. Münchner Opernfestspiele/Wilfried Hösl
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Beifall, aber auch kräftige Buhrufe für die enttäuschende Eröffnungspremiere: Rossinis „Guillaume Tell“, unschlüssig inszeniert von Antú Romero Nunes, uninspiriert dirigiert von Dan Ettinger. Kaum festspielwürdig.

Theater hat vor allem mit Sehen und Erleben, erst in zweiter Linie mit Lesen zu tun. Sollte man meinen. Zuweilen aber können Kommentare im Programmheft erhellender sein als das Geschehen auf der Bühne. Wie nun bei der gewohnt festlich zelebrierten Eröffnungspremiere der traditionsreichen Münchner Opernfestspiele an der Bayerischen Staatsoper.

Eine konventionelle Inszenierung zu erwarten wäre naiv gewesen. Dagegen stand schon der Name des Regisseurs, Antú Romero Nunes, 2010 zum Nachwuchsregisseur des Jahres gekürt. Er hat sich, wie sein Programmheft-Essay beweist, intensiv mit dem Tell-Stoff befasst. Aus dem Vergleich von Schiller und dem – hier radikaleren – Rossini hat er einen originellen Zugang für das Sujet dieser Oper gefunden. Ist es legitim, fragt er sich, Wilhelm Tell ausschließlich als Freiheitshelden zu sehen? War er nicht ebenso ein gnadenloser Manipulator, der für das Erreichen seiner Ziele vor nichts zurückschreckte, nicht einmal vor der möglichen Tötung seines Sohnes?

Die Ouvertüre wird verschoben

Folgerichtig versucht Nunes in seiner Inszenierung, mögliche Klischees zu vermeiden. Der Blick soll auf die einzelnen Charaktere und deren Entwicklung, nicht jedoch auf den historischen Hintergrund der Geschichte fokussiert werden. Diesem Konzept sind auch die musikalischen Striche untergeordnet. Selbst die Ouvertüre muss daran glauben: Sie darf nicht zu Beginn, sondern erst nach der Pause erklingen. Diese effektvoll vorwärtsdrängende Musik, meint der Regisseur, würde seine unkonventionelle Sicht konterkarieren.

Wie immer man zu solchen Überlegungen und Eingriffen steht: Sie dürfen nicht nur nachzulesen sein, sondern sie müssen auf der Bühne auch vermittelt werden. Noch so kunstvoll erdachte Arrangements und Bilder, bei der die Darsteller ihre Parts meist stehend an der Rampe absolvieren, sind dafür der falsche Weg. Vielleicht hätte sich mit einer psychologisierenden Regie erschlossen, warum Nunes die Handlung partout in die 1960er-Jahre verlegt. Auch warum er sich von Bühnenbildner Florian Lösche eine auf 50 bewegte Säulen beschränkte, meist in dunkles Licht getauchte monochrome Bühnenarchitektur hat entwerfen lassen, wo er doch die Vielfarbigkeit der Charaktere (wie sie sich in den bunten Kostümen Annabelle Witts repräsentieren) zeigen will. Widerspruch als bewusster Kunstgriff oder als Aufforderung zum Nachdenken? Auch darüber, warum im Finale plötzlich die Mathilde wieder auftaucht und Arnold unmissverständlich umwirbt? Ein Ansatz für eine mögliche Fortsetzung dieser Tell-Geschichte? Auch das bleibt, wie so vieles an dieser Produktion, als Frage stehen. Nunes ist wohl ein Opfer seiner eigenen, sprühenden Gedankenvielfalt geworden. Auch die Idee, Erfahrungen einer unreflektierten Heldenwelt des Films für seine Tell-Zeichnung einzubringen, bleibt in kurzen Ansätzen stecken. Ein Dramaturg hätte hier eingreifen müssen, oder ein mit „Guillaume Tell“ wirklich vertrauter Dirigent. Aber auch für Dan Ettinger, Generalmusikdirektor am Nationaltheater Mannheim und Chefdirigent des New Tokyo Philharmonic Orchestra, war diese Rossini-Oper neu. Er konzentrierte sich vornehmlich auf die Hervorhebung der rhythmischen Akzente. Deutlich weniger interessierte ihn das mindestens ebenso spannende Melos dieser späten Rossini-Partitur. Vor allem ließ er das Orchester meist kräftig aufspielen, zwang damit die Protagonisten zum Forcieren.

Apfelschuss oder Selbstmord?

Selbst den an einer kleinen Indisposition leidenden Michael Volle, der in der Titelrolle trotzdem ein mehr als eindrucksvolles Debüt feierte. Auch der seine heiklen Spitzentöne souverän stemmende Bryan Hymel als exzellenter Arnold hätte sich mit einer sängerfreundlichen Begleitung leichter getan. Emotional zu distanziert, zuweilen schrill gestaltete Marina Rebeka die Mathilde. Ungleich prägnanter im Ausdruck und in der Phrasierung sang Evgeniya Sotnikova den Tell-Sohn Jemmy. Er zwingt in dieser Inszenierung seinen Vater übrigens damit zum Apfelschuss, dass er sonst mit der Pistole Selbstmord verüben würde. Ein bizarres wie unnötiges Szenario. Gewohnt verlässlich, wenn auch mit unterschiedlich klar zeichnender Tiefe, agierte Günther Groissböck als Gessler. Nur Durchschnitt die übrigen, zum Teil mit zu kleinen Stimmen besetzten Protagonisten.

Gut hatte Sören Eckhoff den in unterschiedlichen Kleidern auftretenden Chor und Extrachor der Bayerischen Staatsoper vorbereitet. Dass aus dem Bayerischen Staatsorchester mehr an klanglicher Differenzierung, Vitalität, Exaktheit, nicht zuletzt ein spannungsvolleres Musizieren herauszuholen ist, weiß man aus früheren, nicht nur am Pult spektakulärer besetzten Münchner-Festspiel-Eröffnungen. Diese wurden auch mit weitaus mehr Zustimmung aufgenommen als dieser kaum festspielwürdige, insgesamt enttäuschende „Guillaume Tell“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2014)

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