"Don Juan": Desperate Housewives im Feldpostregen

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Andreas Kriegenburg inszeniert Horváths „Don Juan kommt aus dem Krieg“ auf der Halleiner Pernerinsel: gefühlsarm, humorvoll, mit starken Bildern und einem feinen Ensemble. Dennoch: ein zwiespältiges Erlebnis.

Ein weißer Prospekt fällt herab, Frauen fangen ihn auf, wiegen ihn. Das sieht aus, als ob Leichen vom Himmel regneten. Die weiß geschminkten Ladys stimmen ein Kriegslied an. Ein Mann mit Gasmaske robbt im Geschützfeuer durch den Morast, er schreibt, verliert fast den Brief. Die Frauen erklettern Leitern und lesen in einem babylonischen Stimmengewirr Feldpostbriefe, die vom Schnürboden herabhängen. Am Schluss wird Don Juan unter Eisblöcken fast begraben, die von den Damen mit Haken auf die Bühne gehievt und zerschlagen wurden.

„Don Juan kommt aus dem Krieg“ von Horváth ist seit Sonntagabend zum Weltkriegsgedenken auf der Halleiner Pernerinsel zu sehen. Das Stück aus dem Jahr 1936 blendet auf die Zeit 1919–23 zurück. Andreas Kriegenburg hat inszeniert und die Bühne gebaut. Wie Michael Thalheimer bei seiner Version der „Geschichten aus dem Wiener Wald“, heuer bei den Wiener Festwochen zu erleben, hat Kriegenburg ein klares Konzept.

Das hat immer den Nachteil, dass der Regisseur sich selbst in seinem Gedankenkorsett einschließt, dem er auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Monotonie ist die Folge. Doch Kriegenburg blies Horváth trotz seines Hangs zu strengem Drill und linearer Groteske mehr Leben ein als Thalheimer.

Kokette Lolitas und Slapstik in der Loge

Im Programmheft spricht Kriegenburg von der „Inselsituation“ in Hallein, man fühle sich nicht in einer Stadt und für eine Stadt arbeitend, sondern abgeschlossen und so, als würde man im Geheimen ein Verbrechen begehen. Falls ein Verbrechen an diesem „Don Juan“ begangen wurde, besteht es darin, dass das Stück entseelt wurde.

Der „Kulturkampf“, wie realistisch man Horváth inszenieren soll, dauert an. Das war deutlich zu bemerken. Es gab begeisterten Applaus und Buhs bei der Premiere, und anschließend lebhafte Diskussionen von Zusehern und Profis. Manches ist aber doch fix: Anders als „Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist Horváths „Don Juan“ nicht verortet. Das Drama spielt im Niemandsland.

Es handelt, das zeigt Kriegenburg plastisch, von einem Identitätsverlust, und auch mit einer weiteren These räumt der Regisseur auf: Frauen sind Opfer, das wird nicht nur in Zeiten der Emanzipation gern gesehen, diese Inszenierung zeigt auf höchst eindringliche Weise, dass beide Geschlechter Opfer wie Täter sind. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg, die Hyäne Mensch ist durch das Grauen nicht besser geworden, es wird weiter gewurstelt, als ob nichts gewesen wäre. Das ist zwar deprimierend und brachial unsentimental, deckt sich aber mit Horváths Ansicht. Der Zuschauer, so meinte der Dichter ferner, möchte im Theater das Asoziale in sich gespiegelt sehen. Dieses wird hier sehr kühl und künstlich, aber auch sprachlich virtuos und hoch musikalisch vorgeführt.

Dress to impress, selbst in Kriegszeiten: Kostümbildnerin Andrea Schraad hat die Frauenzimmer wunderbar ausgestattet, im Gesicht tragen sie zwar alle, wie in der Welt, die „Pappe“, aber durch ihre Kleidung sind sie klar zu erkennen: die koketten Mädchen, die geilen Älteren, die böse Alte, die blutüberströmte Krankenschwester, die Nonne, die sich mit einem Strick an Don Juans Bein kettet und die zehn Gebote aufsagt, um seiner Anziehungskraft zu entkommen. Das pechschwarze Geschwader der Witwen stellt sich um Brot an, beklagt abgehackt das Sterben der Männer, die doch nur ein notwendiges Übel für die Weiber und keinesfalls geliebt waren. Die bösen Kinder schwingen die Beine und hauen dem Schneemann den Arm ab. Eine Figur ist sogar Mann und Frau in einer Person: eine Diva und Diseuse à la Marlene Dietrich. In der Wohnung eines Inflationsgewinnlers hocken Damen der besseren Gesellschaft beim Tee, desperate housewives, die auf ihren Helden warten, der nicht kommt: Erst geben sie voreinander mit ihrer Bedeutung für Don Juan an, dann gackern und quietschen sie durcheinander. Zwei Frauen lauschen in der Loge Mozarts „Don Giovanni“, die eine pudert sich die Nase und beginnt zu niesen, die andere trinkt aus einer Flasche und stopft Süßigkeiten in sich hinein. Bei dieser Slapstick-Parodie von Festspielgästen mussten selbst einige bis dahin als steinerne Gäste im Zuschauerraum verharrende Besucher herzlich lachen. Auch sonst ist dieser Horváth ungewohnt komisch.

Max Simonischek: Starr, todgeweiht

Die Frauen, darunter einige der besten deutschen Schauspielerinnen (von Natali Seelig bis Traute Hoess), sind höchst detailreich gezeichnet, inspiriert von bildenden Künstlern wie George Grosz oder Tamara de Lempicka – und allesamt sind diese Mädels fantastisch. Um den Protagonisten hat sich Kriegenburg weniger liebevoll gekümmert.

Max Simonischek könnte der charmanteste und gefährlichste Don Juan der Welt sein, ein langer, fescher Kerl, genau wie Vater Peter, der nervös und zerrauft im Publikum mit seinem Sprössling mitfieberte. 1993 war Peter Simonischek am Deutschen Theater in Berlin Horváths Don Juan. Max Simonischek jedenfalls darf nichts beweisen, schon gar nicht sich, er hat radikal einen Entgeisterten zu spielen, einen Schwerkranken, der nach dem Tod auf dem Schlachtfeld, wo er schwer verwundet wurde, das Sterben in sich trägt.

Den Frauen weicht er aus oder er wird grob, sehr grob. Sein anfängliches zartes Sehnen nach „Gestaltwandel“, er will kein Lump mehr sein, sondern seine vermeintlich einzig Geliebte wiederfinden, wird ihm von einer schicksalhaften Kraft ausgetrieben, mit der auch mancher von uns schon Bekanntschaft gemacht hat. Don Juan kann nicht aus seiner Haut heraus. Max Simonischek, der inzwischen im deutschen Regietheater und als Filmstar Karriere gemacht hat, führt diese etwas sterile Figur mit starrem Blick und eckigen Bewegungen exakt aus. Er taumelt orientierungslos von einer Station seines Kreuzwegs zur nächsten, seinem Ende entgegen. Letztlich ist auch er stimmig.

Angesichts des Grauens von Kriegsschauplätzen in aller Welt, das uns täglich aus den Medien überrollt, wirkt diese Kreation manieriert, dekadent und selbstbezogen auf den elfenbeinernen Turm Theater. Als ein Stück Bühnenkunst über Lebenslügen und die Täuschungen der Geschlechter untereinander betrachtet, wirkt sie aber saftig, originell, interessant und wohlkomponiert. Somit hatten für diesmal sowohl Buhrufer als auch Begeisterte durchaus recht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.08.2014)

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