Narziss im Grandhotel Arkadia

(c) APA/HERBERT PFARRHOFER
  • Drucken

Innsbrucker Festwochen der Alten Musik. "Narciso" von Domenico Scarlatti (und anderen?) prunkt mit musikalischen Überraschungen und opulenten Filmprojektionen.

Der eitle Jüngling Narcissus verfällt seinem eigenen Spiegelbild im Wasser und verschmachtet schließlich, wie Ovid in den „Metamorphosen“ berichtet, über dieser vergeblichen Liebe – oder er ertrinkt im unstillbaren Drang nach dem schönen Gegenüber, wie eine zielstrebigere Variante des Mythos besagt.

Zugegeben, kein allzu unterhaltungstaugliches Sujet. Deshalb wusste wohl Carlo Sigismondo Capece das Publikum auf seiner Seite, als er in seinem Libretto mit dem poetischen Titel „Amor d'un ombra e gelosia d'un aura“ (Liebe zu einem Schatten und Eifersucht auf einen Hauch) Narciso kurzerhand die im Original vergebliche Liebe der Bergnymphe Eco erwidern lässt und die beiden nach allerlei Wirrnissen doch einem glücklichen Ende zuführt, entsprechend „dem heutigen Geschmack und Gebrauch“, wie er im Vorwort entschuldigend schreibt. 1714 wurde sein Buch in Rom mit der Musik des jungen, noch im Schatten seines Vaters Alessandro (oder zumindest unter dessen Aufsicht) stehenden Komponisten Domenico Scarlatti uraufgeführt.

Scarlatti ist heute vor allem durch seine mehr als 500 Klaviersonaten und einen legendären musikalischen Wettstreit mit dem gleichaltrigen Georg Friedrich Händel berühmt, den der Sachse auf der Orgel, der Neapolitaner aber auf dem Cembalo für sich entscheiden konnte. Seine Opern hingegen zählen zu den Rarissima der Spielpläne – und auch zu den Stiefkindern der Forschung. 1720 jedenfalls konnte das genannte Werk unter dem griffigeren Titel „Narciso“ und in Starbesetzung sogar in London neben den Schöpfungen Händels bestehen. War Scarlatti anwesend? Sicher ist, dass Thomas Roseingrave drei Nummern ergänzt hat und seine Abschrift die heute einzige bekannte Quelle ist.

Die Innsbrucker Festwochen wagten nun bei ihrer Schlussproduktion die erste komplette Aufführung in moderner Zeit – und landeten damit einen vollen Erfolg, den vor allem Dirigent und Regisseur ermöglichten.

Pointiert: Fabio Biondi

Fabio Biondi, wie üblich mit der Geige in der Hand und auch als Violinsolist sein spielfreudiges Ensemble Europa Galante leitend, geht mit der Partitur unverkrampft-kreativ um: Manchmal überpointiert, ja fast parodistisch geschärft kostet er die vielen musikalischen Finessen aus, die Scarlatti offeriert: expressive, mehrfache Dur-Moll-Wechsel auf engem Raum etwa oder manch klangmalerische Details. Und er fügt wohl auch einige neue hinzu, Tempomodifikationen oder Schlussakkorde, die nach einer Zäsur unvermittelt im Pizzicato erklingen: Überraschung ist Trumpf.

Optische Anleihen beim Film

Biondis Vermutung nach haben sowohl Vater Alessandro in Rom als auch Freund Händel in London zu dem Werk beigetragen. Das entstandene Pasticcio fußt aber dennoch fest auf Scarlattis wendiger Charakterisierungskunst, die in eher kurzen Arien das Interesse stets wachhält: Bezaubernd ist da nicht zuletzt die Szene, in der Narciso sich mit der von fern reagierenden Eco unterhält und die Endsilben seiner Fragen stets ihre knappe Antwort vorwegnehmen.

In der kunstvoll gedrechselten Handlung ergehen sich auch noch die Königin Procri sowie die Helden Aristeo und Cefalo in Liebeswirren, während noch dazu ein gefährlicher Eber sein Unwesen treibt, aber lange Zeit einzig Amors unsichtbare Pfeile ins Schwarze treffen. Der Regisseur Davide Livermore siedelt all das an einem Lieblingsort des Theaters heute an, einem Hotel – als Ort der Begegnung für unterschiedliche soziale Schichten, noch mehr aber als Jahrmarkt der Eitelkeiten und Leidenschaften (Kostüme: Mariana Fracasso). Bei seiner detail-, pointen- und temporeichen Arbeit macht er unverblümte optische Anleihen beim Film – vom mondänen Luxus der Welt von gestern („The Grand Budapest Hotel“) zum Verstörenden („Das Cabinet des Dr. Caligari“) ist es hier nicht weit. Vor allem deshalb, weil die Turiner Truppe D-WOK mit zahlreichen, virtuos eingesetzten Videoprojektionen Opulenz und Schauwert des Barocktheaters in vielleicht plakativen, aber ausdrucksvollen Naturszenen aufleben lässt, die von blutroten Meereswogen bis zu kahlen Bäumen im Nebelzwielicht alle emotionalen Stücke spielen.

Animiert durch zwei Tänzerinnen, die sich als Lakaien sowie in wechselnden Verkleidungen in die Handlung mischen, schlägt sich das Ensemble (darunter drei Hosenrollen) szenisch und musikalisch wacker, wenn auch ohne herausragende stimmliche Noblesse: Da räkelt sich etwa Hyekyung Choi als Procri auf der Chaiselongue, leidet Chiara Osella allenthalben als Eco und rittern die Helden Aristeo (Tenor Valentino Buzza), Cefalo (Federica Alfano) und vor allem die energievolle Maite Beaumont als Narciso um Ehre, Liebe und Glück.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.