Von Dohnányi: "In Wien hätte ich gleich den Rücktritt erklärt!"

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Der große Dirigent Christoph von Dohnányi wird heute 85 Jahre alt. Mit der "Presse" sprach er über falsche Noten und wichtige Obertöne, Karajan, Salzburg - und die Staatsoper, als deren Direktor er einmal im Gespräch war.

Die Presse: Dirigieren gilt als Altersjob. Nehmen Sie das an sich selbst wahr?

Von Dohnányi: Man kann Stücke in kurzer Zeit lernen, das heißt aber nicht, dass man sie auch adäquat realisieren kann. Bruckner hat sich neun Jahre mit seiner Neunten beschäftigt und ist darüber gestorben! Ich habe das vergangene halbe Jahr wieder mit der Partitur verbracht. Wenn ich nicht immer wieder etwas Neues in der Musik entdeckte, würde ich nicht mehr dirigieren, dann hätte ich Besseres zu tun. Das ist wie mit der Literatur, der Malerei, der Kunst überhaupt. Immer glaubt man, man habe die richtige Richtung eingeschlagen – und plötzlich entdeckt man, was man noch nicht berücksichtigt hat.

Für Ihr legendär scharfes Ohr wurden Sie ja nicht immer nur geliebt...

Mit Alfred Brendel bin ich sehr gut, wir haben viel zusammen musiziert. Der hätte auch nicht auf einem verstimmten Klavier gespielt. Bei einzelnen falschen Noten bin ich nicht empfindlich, das kann passieren. Doch Intonation ist eines der Geheimnisse großer Musik: Weil die Obertöne stimmen müssen, damit der Orchesterklang seine perfekte Kuppel bilden kann. Aber wissen Sie, in meinem Alter muss man nicht immer geliebt werden. Ich erinnere mich an den wunderbaren Wolfgang Schulz, den Soloflötisten der Wiener Philharmoniker. Er hat in einer Probenpause geübt – es sind immer die Guten, die noch mehr üben. Und er sah mich und sagte: „Herr Professor, machen Sie weiter so, wir brauchen das!“ Es braucht Nerven, ja – aber das Leben lohnt sich nicht, wenn man Schwierigkeiten umgeht. Manche junge Leute begehen den Fehler, sich zu früh an Dinge zu wagen und mit Chuzpe schnell mal die Neunte Beethoven oder die Zweite Mahler machen. Karajan war insgesamt neun Jahre in Ulm und Aachen! Ich konnte als Dirigent in Lübeck in Ruhe lernen, in Kassel, als Intendant in Frankfurt, Hamburg – und dann kamen fast 20 Jahre Cleveland: eine altmodische Karriere.

Kommen heute junge Künstler zu rasch in zu bedeutende Positionen?

Ich bin ein großer Verehrer von Robert Musil. So wie er Literatur schuf, möchte ich Musik machen können – nach enormem Nachdenken die Menschen aufzufordern: denkt mit! Er beklagte einmal die „Dramaturgie des Zuschneiderns geistiger Stoffe zu konfektionsmäßiger Absatzfähigkeit“. Das ist ein Problem unserer Zeit. Auch die Medien nehmen ihre Verantwortung zum Teil nicht wahr. Wir leben in einer Zeit des extremen Merkantilismus, die Kunst kann sich ja aus ihrer Zeit nicht lösen. Sie können nicht erwarten, dass Musiker nicht auch Geld verdienen wollen. Rufen Sie heute bei den Philharmonikern an, hören Sie als Erstes: „Wenn Sie eine Frage zum Neujahrskonzert haben, drücken Sie...“ Unsere Zeit drängt die Musikwelt an die Grenze zur Verantwortungslosigkeit. Verkaufen ist gut und schön, aber ich bin dankbar, dass ich in meinem Leben nie nur für Geld allein dirigiert habe. Als junger Dirigent bot mir das Festival in Orange einmal eine für mich damals enorme Gage für zwei Aufführungen von Verdis „Macbeth“ an. Ich war bei Karajan in Salzburg, er sagte sofort: „Das müssen Sie machen, ich gebe Ihnen auch mein Flugzeug!“ Es waren aber nur zwei Proben vorgesehen – das fand ich unverantwortlich für ein so gewichtiges Stück. Ich habe es sein lassen. Man muss Prinzipien haben – und man muss sie manchmal auch brechen.

Hans Landesmann schreibt in seinen Erinnerungen, dass er überlegt hat, ob Sie nach Karajan der Richtige für Salzburg gewesen wären. Sind Sie heute froh, dass daraus nichts geworden ist?

Das habe ich auch gelesen, ich wusste davon nichts. Als ich Anfang der Achtzigerjahre neben Lorin Maazel für die Wiener Staatsoper im Gespräch war, hatte ich einen Plan: Ich wollte bei der ersten Pressekonferenz meinen Rücktritt in fünf Jahren bekannt geben – damit das vom Tisch ist. In Wien muss man ein bisschen anders denken, dort können Sie schneller in eine Sonnenfinsternis geraten als Sie glauben. Das kann auch lustig werden, man muss nur wissen, was man will.

Ist Ihr 85.Geburtstag Anlass für einen Rückblick?

Das Zurückschauen ist so ganz mein Ding nicht. Auch da kann ich auf Musil verweisen: Ich habe ein sehr schlechtes Gedächtnis. Mich interessiert die Vergangenheit relativ wenig. Aber in London fahre ich immer an Westminster Abbey vorbei: Dort steht über dem Hauptportal eine Statue von meinem Onkel Dietrich, mit neun anderen Modern Martyrs wie Martin Luther King. Dietrich Bonhoeffer war mein Lieblingsonkel und Pate, und da ihm die Nazis Redeverbot erteilt hatten, war er oft bei uns... In der Musik interessiert mich das Neue in der alten Musik – und neue Musik. Das Große ist jedoch nie alt oder neu, sondern immer Gegenwart, auch in der Literatur: Shakespeare ist Gegenwart. Deshalb habe ich auch manchmal Probleme mit dem Originalklang, auch wegen der tieferen Stimmung, die mein absolutes Gehör irritiert. Aber ich habe großen Respekt vor diesen Leuten und auch viel von ihnen gelernt, vor allem, wenn es jemand wie Harnoncourt mit diesem wahnsinnigen Feuer macht, das hat mich immer fasziniert. Da ist die Musikwissenschaft unglaublich gut und wichtig.

Gibt es trotzdem besonders wichtige Erinnerungen für Sie?

In Salzburg die Arbeit mit Hans Werner Henze und W.H. Auden an den „Bassariden“, mit Ingeborg Bachmann in Berlin beim „Jungen Lord“: Das waren große Leute. Auden schenkte mir damals ein Bonhoeffer-Gedicht, das hat noch niemand gelesen außer mir. Die Wiener Philharmoniker waren fantastisch in moderner Musik. Kein Orchester hat Schönberg so schön gespielt wie sie, „Moses und Aron“, und die Oper habe ich sehr oft gemacht, war nirgends so gut wie in Wien! Auch die „Salome“ 1992: superb. Keiner hat damals geglaubt, dass das im Kleinen Festspielhaus gehen würde. Ich habe erfahren, dass im neuen „Rosenkavalier“ das Orchester etwas hochgefahren ist, das ist sehr klug: Weiter oben hören sie mehr und spielen leiser. Auch Achim Freyers Inszenierung der „Zauberflöte“ habe ich sehr geliebt.

Und Pläne?

Zu Philharmonia kehre ich immer gern zurück, nach Boston, New York, ins großartige Tanglewood. Und in Cleveland, wo ich seit 2008 den Titel „Music Director Laureate“ trage, musiziere ich gern mit alten Freunden. Neulich stand dort in einer Kritik: „The music director laureate might as well be called music director beloved.“ Das hat mich gefreut.

ZUR PERSON

Christoph von Dohnányi wurde am 8.September 1929 in Berlin geboren. Sein Vater Hans von Dohnányi und sein Onkel Dietrich Bonhoeffer wurden 1945 von den Nazis als Widerstandskämpfer hingerichtet. Ausgebildet wurde er u.a. bei seinem Großvater Ernst (Ernö) von Dohnányi und Leonard Bernstein. Er war Generalmusikdirektor in Lübeck, Opernintendant in Frankfurt und Hamburg, Chefdirigent des Cleveland Orchestra (1982–2002) und des Philharmonia Orchestra (1997–2008), des Orchestre de Paris und des NDR Sinfonieorchesters (2004–2011). Sein Bruder Klaus war Hamburger Bürgermeister, sein Sohn Justus ist Schauspieler.

An der Wiener Staatsoper studierte er 1992/93 den „Ring“ neu ein (Regie: Adolf Dresen), den nächsten (2007) leitete Franz Welser-Möst. Dieser wurde auch in Cleveland sein Nachfolger.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.09.2014)

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