So soll die Oktoberrevolution klingen

Riccardo Chailly
Riccardo Chailly (c) EPA
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Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester Leipzig plädierten für Schostakowitschs Zwölfte und ließen Bruckner dunkel schimmern, Nikolaj Znaider glänzte in Beethovens Violinkonzert.

Und wieder ein bombastischer, repetitiver Schluss: Das Orchestertutti trägt einen wuchtigen Blechpanzer, im Marschtritt donnern die Salven von Pauken, großer Trommel und Becken, die Wiederholungen wollen kein Ende nehmen – nur hohles Pathos in D-Dur, das dem Publikum mit billigen Mitteln den Applaus aus den Händen reißen soll? Weit gefehlt. Der gequälte Unterton geht durch Mark und Bein, vor allem durch ein insistierend pendelndes Terzmotiv a-fis, das sich nur wie unter Aufbietung aller Kräfte immer wieder um einen bohrenden Halbton zum b weitet: Großartig, wie Riccardo Chailly und das Gewandhausorchester Leipzig am Montag im Musikverein keinen Zweifel ließen an der schreckenerregenden Doppeldeutigkeit, dem Grimassieren dieses scheinbar regimetreuen Finalausklangs der zwölften Symphonie von Dmitri Schostakowitsch.

Lange hatte dieser sich mit dem Gedanken getragen, Lenin musikalisch abzuhandeln. Doch erst in seiner 1961 uraufgeführten zwölften Symphonie („Das Jahr 1917“) war es so weit: In vier pausenlosen Sätzen malt er darin mit filmmusikalischer Griffigkeit die Stimmung im revolutionären Petrograd, wendet im Adagio den Blick aufs Land nach Rasliw, wo Lenin im Sommer einige Wochen in einer Laubhütte versteckt lebte, und schildert den Ausbruch der Oktoberrevolution, die mit dem Sturm der Bolschewiki aufs Winterpalais begann. Ein Kampf, der im Finale unter dem Titel „Morgenröte der Menschheit“ bei genauerem Hinhören durchaus noch nicht gewonnen scheint, auch wenn sich die Parteibonzen bei diesem im Westen lange als „systemkonform“ verschrienen Werk zufrieden zurücklehnten. Die Zwölfte ist gewiss nicht Schostakowitschs bedeutendste Symphonie, sie wird aber immer noch unterschätzt. Die in großer Besetzung angereisten Gäste aus Leipzig plädierten jedenfalls nachdrücklich sowie mit spannungsreicher Farben- und Konturenschärfe für das Werk und ernteten dafür sofort spontanen Jubel – obwohl ein kurzes Innehalten passender gewesen wäre...

Opulenz und Balance

Zweimal 16 Geigen, zehn Kontrabässe: Diese Streichermenge machte sich am Abend zuvor auch bei Anton Bruckners siebter Symphonie bezahlt. Vor 30 Jahren schon hat sie Chailly mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin in vergleichsweise gleißender Manier aufgenommen. Schon mit dem Concertgebouw-Orchester, dessen Chef er von 1988 bis 2004 war, und nun erst recht als Gewandhauskapellmeister pflegt er dagegen – bei im Wesentlichen gleicher Tempodramaturgie – einen viel dunkleren, opakeren Klang, wie er der Tradition des Leipziger Klangkörpers entspricht, und auch weichere Übergänge; zudem führt er die Kontraste in Scherzo und vor allem im Finale nicht ins Extrem. Der Stirnsatz entwickelt sich unter diesem quasi noblen Zugriff in frei strömender, ruhig atmender Kantabilität; nirgends laufen die Streicherfigurationen Gefahr, vom Blech zugedeckt zu werden, auch nicht am schlüssig angesteuerten Höhepunkt des Adagios.

In nur zwei Jahren seit seiner letzten Auseinandersetzung mit dem Werk im Musikverein ist auch Nikolaj Znaiders Sicht auf Beethovens Violinkonzert eindrucksvoll nachgereift. Den Solopart erfüllt der Meistergeiger nicht nur mit fast schlackenlos leuchtender Süße in allen Lagen, sondern reichert die vielen Sechzehntel- und Triolenketten nun auch mit subtil dosiertem Rubato-Sinn an und tritt in lebhaften Dialog mit dem Orchester: Im Kopfsatz ragten das von Znaider zart umrankte melancholische Fagottduett der Durchführung sowie die traumverlorenen Pizzicati nach der (Kreisler-)Kadenz besonders hervor, im Finale machte sich auch eine Prise pointierter Heftigkeit bemerkbar – eine beredte Mischung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.10.2014)

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