Pierre Boulez und die Liebe zum Komplexen

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Die Wiener Philharmoniker und Daniel Barenboim spielten zu Allerheiligen Boulez und Schubert.

„... la beauté sera explosante-fixe, ou ne sera pas?“ Die Schönheit wird explodierend-unveränderlich sein, oder sie wird nicht sein, dichtete einst der Surrealist André Breton. Im Schaffen von Pierre Boulez gibt es viele solcher Explosionen, die er selbst lieber „Wucherungen“ nannte. In ganzen Werkfamilien entfaltet sich ein und dasselbe Material immer weiter, auf teils ungeahnte Weise. Boulez habe immer schon eine „Vorliebe für Komplexität“ besessen, erklärte denn auch sein Freund und Dirigentenkollege Daniel Barenboim am Sonntagvormittag im Musikverein in einführenden Worten, ein Faible „für das Komplexe, nicht das Komplizierte“ – denn das Komplizierte bleibe immer kompliziert, das Komplexe aber werde einfacher, wenn man es einmal beherrsche. Und das galt auch für den Höreindruck zweier eng verwandter Boulez-Stücke.

Eine ganze Reihe von Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts bereichern in dieser Saison die Programme der philharmonischen Abonnementkonzerte. Diesmal war Boulez an der Reihe, der im März 90 Jahre alt wird. In seinem „Mémoriale“ (1985) stimmte Karl-Heinz Schütz an der Soloflöte duftige Arabesken an, durchsetzt mit Trillern und Flatterzungentönen: zarte, ungreifbare Musik wie leichte Blätter im Wind, sanft umspielt vom kleinen Ensemble, aus dem einmal besonders schön (und hoch!) ein Horn hervorleuchtet, dem auch der verklingende letzte Ton anvertraut ist – ein Es im Gedenken an Strawinsky.

Zarter Boulez, beherzter Schubert

In einer weiteren, acht Jahre später erarbeiteten Entwicklungsstufe des Werks, nun „...explosante-fixe...originel“ genannt, treten im Wesentlichen mehr als ein Dutzend Holz- und Blechbläser hinzu. Sie sind aber sehr dezent eingesetzt und bereichern die gleiche Musik um Schattierungen, die von der Live-Elektronik teils subtil überlagert werden. Bis in kleinste Verästelungen hatte sich schon eingangs der philharmonische Streicherchor in Boulez' „Livre pour cordes“ aufgefächert, ein intensives, koloristisch weit gespanntes Wechselspiel, dessen Impulsivität Barenboim betonte.

Leidenschaft regierte nach der Pause dann auch Schuberts „Große“ C-Dur-Symphonie in einer ganz traditionell romantischen, in dieser Manier rar gewordenen, aber absolut schlüssigen Lesart – eine breite Einleitung mit Beschleunigung ins Allegro des Kopfsatzes inbegriffen. Wohltönende Klangfülle und Emphase, liebevoll herausgehobene Nebenstimmen, ein alles umspannendes Legato: beherzt und von Herzen zugleich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2014)

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