Elīna Garanča: Hohe Kunst bis zum letzten „M“

INTERVIEW: ELINA GARANCA
INTERVIEW: ELINA GARANCA(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Zum Auftakt seines Jubiläumsjahres verlieh ihr der Musikverein für Steiermark die Ehrenmitgliedschaft.

Nach Beethoven, Schubert, György Ligeti, Karl Böhm und Alfred Brendel, um nur einige ganz prominente Namen zu nennen, wurde nun Kammersängerin Elīna Garanča zum Ehrenmitglied des heuer 200 Jahre alt gewordenen Musikvereins für Steiermark. Diese Auszeichnung nahm die sichtlich bewegte baltische Starsängerin auf dem Podium des brechend vollen Stephaniensaales in der Pause ihres Liederabends entgegen, der in Standing Ovations mündete – in Zeiten, in denen viel von der „Krise“ der Kunstform Lied die Rede ist, eine erstaunliche Ausnahme.

Dabei hatte es in geradezu introvertierter Verhaltenheit begonnen: mit zwei Blöcken zu je sieben klug zusammengestellten Liedern von Brahms. In vollendeter Pianokultur gestaltete Garanča den retrospektiv-grüblerischen Ton dieser Lieder, das Zentrum dieser dunkel leuchtenden Prachtstimme sitzt jetzt so sicher grundiert, dass Garanča ihre Brust- und Kopftimbres wie eine expressionistische Malerin auf einer üppigen Farbpalette virtuos abmischen kann, ohne dass die Grenzen der Register verschwimmen.

Herbstlich nebelig erschien so der „liebe Weg zum Kinderland“ (in „Heimweh“), in gefasster Resignation erklang die Bahn zum alten Traum („Alte Liebe“). Höhepunkt des Brahms-Teils war die Schlusszeile aus dem „Magelone“-Lied „Ruhe, Süßliebchen“. Garanča kostete die im 6/8-Takt schaukelnde As-Dur-Verbindung zwischen hypnotischem Schlaflied und verlockender Erotik aus und gab zusätzlich ein Lehrstück subtiler Vokal- und Konsonantengestaltung: Bei „Und summen zum Schlummer dich ein“ ertönte ein so klares „u“, wie man es nur von der jungen Elisabeth Schwarzkopf bei ihrem legendär verführerischen „u“ in „Wiener Blut“ in Erinnerung hat. Hier wurde die Klangfarbe zum unmittelbaren Ausdruck. Dazu kontrastierten die „m“ in „summen“ und „Schlummer“, die – ermöglicht durch die Vibration des Jochbeines – ganz leise, wie an der Grenze des Schlafes klangen und doch den riesigen Saal füllten. So etwas nennt man Gesangskunst im Dienst der Ausleuchtung aller Nuancen des gedichteten Wortes.

Wie eine Tschechow-Novelle

Nach der Pause dann drei Lieder von Henri Duparc in vollkommen konträrem, opernhaftem Idiom, das auch von Macolm Martineau, dem feinsinnigen Begleiter am Flügel, in gleißendes Licht getaucht wurde. Zu einer Forschungsreise in die schwelgerisch-abschiedssatten Bezirke der russischen Seele wurden schließlich acht Lieder von Sergej Rachmaninow: wolgaweit gestaltete Phrasen, schwerelos schwebende Vokalisen, versonnene Kantilenen und genuin weibliche Liebesemphase fügten sich zu einer Art klingender Tschechow-Novelle, am Schluss vielleicht mit einigen leichten Müdigkeitsabschattungen in den hohen Lagen. Als erste Zugabe „Meine Liebe ist grün“ von Brahms, gefolgt von „Allerseelen“ und, schon mitten in Blumen und bei stehendem Auditorium, noch ein Strauss-Lied: ausgerechnet „Und morgen wird die Sonne wieder scheinen“. Da gerann die verfließende musikalische Zeit zu einem in sich ruhenden Kristall Ewigkeit, ein anrührender Moment ganz am Schluss eines überaus geglückten Liederabends. Nein, das Genre Lied ist keineswegs am Ende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.01.2015)

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