Ballett Staatsoper: Wiens koketter Joseph

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John Neumeier hat seine sagenumwobene Choreografie zu „Josephs Legende“ zu einem ganzen Richard-Strauss-Abend ausgeweitet. Wiens Staatsballett brilliert.

Damit verbinden wohl viele Wiener Ballettomanen und auch Musikfreunde, die sich nur selten ins Tanztheater verirren, faszinierende Erinnerungen: Die Premiere von „Josephs Legende“ in den Siebzigerjahren war ein Sensationserfolg. Denn John Neumeier gelang es, eine völlig neue dramaturgische Konzeption für Richard Strauss' üppig strömende Ballettmusik zu schaffen. Aus der statuarischen Frau Potiphar des originalen Szenariums (von Hugo von Hofmannsthal und Harry Graf Kessler) wurde eine leidenschaftliche Tanzpartie. Die Solisten Judith Jamison und Kevin Haigen genossen in Wien sogleich Kultstatus, wie die Choreografie und die der Musik an Buntheit nicht nachstehende Dekoration von Ernst Fuchs.

Eine neue Version im Art-Deco-Umfeld

Leider hat Neumeier seine Neufassung – mit seiner Compagnie in Hamburg 2008 erarbeitet – in ein kargeres Bühnenbild und die Handlung aus ferner orientalischer Zeit ins Art-Deco-Flair der Richard-Strauss-Ära gesetzt. Das erotisch aufgeladene Beziehungsgeflecht der Handlung wird freilich auch in der neuen Version deutlich. Rebecca Horner als Frau Potiphar und Denys Cherevychko als Joseph finden ihren eigenständigen Weg, die Geschichte vom keuschen Gottsucher und der verruchten Verführerin zu erzählen: Reflektierter sieht es aus als dereinst. Man schaut quasi aus der Perspektive der dekadenten Gesellschaft, die am Hof Potiphars zum Cocktail geladen ist.

Es geht weniger animalisch-direkt zu als im Original. Joseph scheint weniger naiv, bewegt sich nach seinem anfänglichen Erstaunen über ihm ungewohnte zivilisatorische Codes bald gewandt, ja kokett. Frau Potiphar ist weniger chthonisches Urweib als trotziges Mädchen, das zornig aufstampft, wenn es nicht gleich bekommt, was es möchte.

Auch auf diese Weise steigert sich der Pas de deux (zur aufgeputschten Klangorgie der Philharmoniker unter Mikko Franck) wie damals zum packenden Herzstück der Aufführung, die lauten Jubel erntet. Auch weil das Corps de Ballet blitzsauber agiert. Kirill Kourlaev umschwebt den Titelhelden als verkündigender und zuletzt rettender Engel, Roman Lazik verleiht dem Potiphar das rechte würdevolle Profil. Auch wenn er kein biblischer Potentat mehr sein darf, der über kämpfende Wüstensöhne gebietet (die Boxerszene mit den virtuosen Paukensoli ist gestrichen, dafür ist dem Engel eine weitere sanfte Erscheinung gegönnt).

Was die Zeitverschiebung betrifft, haben Strauss und Hofmannsthal ja in ihren ersten Konzeptionsdialogen eine Überlagerung der Ebenen ventiliert, Joseph sollte sich im Renaissance-Palazzo wiederfinden. Nun tanzt er halt in einem amerikanischen Loft.

„Verklungene Feste“, ein Déjà-vu

Im ersten Teil des Abends diesmal nicht wie einst Schönbergs „Pelleas und Melisande“ als ätherisch-symbolistisches Gegengewicht (in Erich Walters Choreografie), sondern die verspielt-subtilen Arrangements französischer Clavecinisten-Pièçen, die Richard Strauss zu orchestralen „Couperin-Suiten“ verdichtet hat: Erinnerungen an „Verklungene Feste“, so der Titel von 1941, die Neumeier zu Déjà-vu-Erlebnissen mischt, als hätten die Jahre und Jahrzehnte an historischen Ballettminiaturen erdschwere Spuren hinterlassen. Wie dichtete Doderer einst? „Viel ist hingesunken, uns zur Trauer/und das Schöne zeigt die kleinste Dauer.“

Der Zuschauer darf sich zu den höchst unterschiedlichen Bewegungsdialogen Beziehungsgeschichten ausdenken: Animiert-launige, aber auch todtraurige, schier aussichtslose Partnerschaften scheinen da in der Erinnerung wieder wach zu werden. Zuletzt ist die gedeckte Tafel verschwunden, die Lebensbühne leer. Solisten und Corps des Staatsballetts brillieren, harmonisch konzertiert, in allen Ausdrucksfacetten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.02.2015)

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