Oper, frei nach Goethe, als Fest der leisen Töne

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Die Staatsoper zeigt Massenets „Werther“, mit der Gheorghiu und einem wunderbaren jungen Tenor.

Jean-François Borras eilt ein enormer Ruf voraus. Er gilt als einer der kommenden Stars am Tenor-Himmel: helles Timbre, in der Höhe durchaus metallisch geschärft zu strahlender, vor allem müheloser Entfaltung befähigt. Auf Massenet ist Borras offenbar abonniert: Nach seinem Debüt in „Manon“ sprang er an der Seite von Angela Gheorghiu für den erkrankten Ramon Vargas als Werther ein. Da ist er in seinem Element, denn die Stimme ist auch für intensivere Aufwallungen prädestiniert. Doch ist dieser Tenor ein Stilist, weiß, dass Massenets Musik ein Abkömmling der Opéra comique, keine frankophone Antwort auf den Verismus, ist.

Borras, der hörbar an der Geschmeidigkeit seiner Phrasierungen arbeitet, versteht es perfekt, mit Geschmack die Stimmregister zu mischen. Damit ist er ein idealer Dialogpartner für einen feinsinnigen Bariton wie Ludovic Tézier – eine Luxusbesetzung für den Albert –, mit dem er auf musikalisch-gestalterischer Augenhöhe parlieren kann.

In einem solchen Stück der verhaltenen, der unterdrückten Gefühle, verdichtet sich eine Aufführung, in der Emotionen vorrangig in leisen Tönen transportiert werden, besonders adäquat. Die Begegnung des Liebespaars, das keines sein darf, werden zu intensiven theatralischen Momenten, denn die Charlotte der Angela Gheorghiu ist, wie gewohnt, eine minuziös durchdachte szenisch wie musikalisch differenzierte Charakterstudie: Gewiss, die Partie liegt dem Sopran in Wahrheit zu tief, was in den ersten beiden Akten manchmal spürbar wird. Doch wächst die Spannung zwischen Gheorghiu und Borras nach der Pause zu atemberaubender Intensität.

Der Zündstoff darf nicht explodieren

Daran hat auch das Staatsopern-Orchester seinen Anteil, denn unter Frédéric Chaslins ruhiger Führung wird man Massenet auch instrumental gerecht: Nirgendwo regiert Derbheit, Wildheit, doch sind die leisen Töne (Violinsolo, Klarinette, die herrlich registrierten tiefen Streicher!) stets expressiv aufgeladen, hier von verzehrender Schönheit, da mit Zündstoff aufgeladen, der – wie das Stück es will – meist gerade nicht explodieren darf, dafür umso dringlicher wirkt. Die Mixtur aus Nervosität und Verzweiflung im Briefmonolog der Charlotte, den Gheorghiu seismographisch präzis durchlebt, wäre ohne die beredte philharmonische Assistenz nur halb so ausdrucksstark.

Daniela Fally und Alfred Sramek führen neben den prominenten Debütanten das Wiener Ensemble mit wohlbekanntem theatralischem Instinkt – und Sinn für Komödiantik. So wird die Fallhöhe zu den tragischen Schicksalen umso drastischer erlebbar. Ein großer Abend, der entsprechend Jubel erntet. (sin)

Noch heute und am 13. März zu erleben, auch via www.staatsoperlive.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.