„Parsifal“: Der österliche Musiktheater-Ritus

(c) Michael Poehn
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Schon zum 43. Mal in der einst umstrittenen, heute beinah schon klassisch anmutenden Deutung durch Christine Mielitz mit einem neuen Gralskönig.

Alle Jahre wieder rettet Parsifal das Heilige Blut – oder doch nicht? Christine Mielitz hat in der aktuellen Wiener Produktion des Bühnenweihfestspiels den Erlösungsgedanken ausgespart. Der Gral, ein Scherbenhaufen. Die Ritterschaft blickt ins Auditorium; um die Lösung der Zukunftsfrage den Zuschauern zu überlassen?

So dürfen, ja müssen die Besucher der rituellen Aufführungen von Wagners letztem Werk in der Karwoche die metaphysischen Gedankenspiele weiterspinnen. Anregungen dazu bekommen sie auch diesmal in Fülle, denn die Staatsoper vereint wieder altbekannte Darsteller, die sich in den Dekorationen von Stefan Mayer längst einzurichten wussten, mit Debütanten.

Michael Volles Amfortas-Debüt

So stehen der Parsifal Johan Bothas und die Kundry der Angela Denoke diesmal dem leidenden Gralskönig in Gestalt von Michael Volle gegenüber, der seine beiden Leidensmonologe mit wohltönendem Bassbariton gestaltet. Großen Ausdruck schöpft dieser Amfortas aus klarer Artikulation von Wagners Text. Die noble Tongebung verliert Volle nicht einmal in den intensivsten Momenten. Dabei heizt Adam Fischer die orchestrale Leidenschaft gerade in der Tempelszene des dritten Aufzugs fanatisch auf.

Im vorangehenden „Karfreitagszauber“ lässt er die wunderbaren philharmonischen Bläsersolisten ungestört ihre Kreise ziehen. Das ergibt manch geradezu kulinarischen Effekt, vor allem dort, wo die Primgeigen mit leuchtendem Ton Melodielinien von Oboe oder Klarinette übernehmen und in höchste Höhen weiterführen. Mit der Verwandlungsmusik kommt, auch wenn die Gralsglocken gerade einmal nicht rechtzeitig einsetzen, eminente Bewegung ins Spiel. Die Musik bäumt sich verzweifelt auf, der Chor der Ritter beschwört in höchster Intensität den todessüchtigen König.

Solche Zuspitzung hätten Wiens Wagnerianer am ersten der diesjährigen „Parsifal“-Abende gar nicht mehr erwartet, war doch der gesamte erste Aufzug als breit strömende Meditation angelegt. Wobei Fischer souverän mit der kurzfristigen Absage von Stephen Milling umzugehen wusste: Kurt Rydl, der in letzter Minute einsprang, wagte sich noch einmal an den Gurnemanz und hatte alle Sympathien des Wiener Publikums auf seiner Seite: Mit bewundernswerter Professionalität richtete sich Rydl die schier endlosen Ansprachen des alten Haudegens zurecht; und das Orchester ging mit jeder Phrase aufmerksam mit. Es nahm auch die Dynamik entsprechend zurück, um den Klingsor von Boaz Daniel in allen Momenten hörbar zu machen.

Erotische Qualität einer Sopranstimme

Und es musizierte regelrecht mit der Denoke, sobald diese daran ging, den doch recht ungelenken, dafür stimmlich unglaublich strahlkräftigen, völlig unangestrengten Parsifal Johan Bothas mit erotischen Annäherungen zu umgarnen: Die Stimme dieser zunächst durchaus dämonischen Kundry bietet, von den notorisch kräfteraubenden Spitzentönen gegen Ende des Mittelakts abgesehen, samtweich strömende Kantilenen; wenn sie dem „reinen Toren“ über die Gram seiner Mutter Herzeleide berichtet, wird das zum sinnlich-betörenden Ereignis.

Ein introvertiertes Gegenbild zu den kichernd-vordergründigen Lockungen der Blumenmädchen, angeführt von exquisiten Solistinnen des Ensembles: Ileana Tonca, Olga Bezsmertna, Margarita Gritskova, Hila Fahima, Caroline Wenborne und der Debütantin Suzanne Hendrix. Deren Neckereien umspielt das Orchester mit impressionistisch aufgefächerten Klangwirkungen, und man hört: Wagners Synkretismus bezieht sich nicht allein auf die religiös-mythologische Komponente, sondern auch auf die musikalisch-stilistische Ebene: Ein paar Takte „Parsifal“ füttern Bibliotheken symphonischer und musiktheatralischer Literatur der folgenden Komponistengeneration; nicht nur im deutschsprachigen Raum...

Weitere Aufführungen: 5. und 8.April; Livestreaming am Ostersonntag (www.staatsoperlive.com).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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