Osterfestival Tirol: So ausgelassen tanzten die Pilger

Jordi Savall
Jordi Savall(c) EPA (Jacek Bednarczyk)
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Wallfahrergesänge aus Katalonien, armenische Musik mit Jordi Savall, Orlando di Lassos Bußpsalmen: Bejubelte musikalische Spiritualität beim Osterfestival Tirol.

Da es vorkommt, dass die Pilger, die in der Kirche der seligen Maria von Montserrat Nachtwache halten, singen und tanzen wollen, und dies auch tagsüber auf dem Kirchplatz, und sie dort nur sittliche und andächtige Lieder singen dürfen, sind einige hier aufgeschrieben. Diese sollten mit Rücksicht und Mäßigung verwendet werden, damit jene nicht gestört werden, die ihrem Gebet und geistlichen Kontemplationen nachgehen möchten“: So heißt es im Vorwort des vermutlich 1399 entstandenen, wegen des farbigen Einbands später so genannten „Llibre Vermell de Montserrat“.

Mit diesem „Roten Buch“ sorgten also die katalanischen Benediktinermönche auf dem „gesägten Berg“ (Montserrat) in doppeltem Sinn für den guten Ton unter ihren Wallfahrern, die ja noch dazu wegen des Fehlens geeigneter Herbergen in der Marienkirche übernachteten. Etwa ein Fünftel der Handschrift ist verloren gegangen, der Rest enthält aber neben frommen Texten auch die Noten zu zehn Stücken: drei Kanons, zwei mehrstimmige Gesänge und fünf Tanzlieder in okzitanischer, katalanischer oder lateinischer Sprache. „Vila cadaver eris“ heißt es da etwa immer wieder in wirbelndem Reigen, „du wirst ein wertloser Leichnam sein“; das Buch lässt mit der Abbildung eines Skeletts im Grab keinen Zweifel an dieser Perspektive.

Wie mitreißend lebendig freilich ein Totentanz wie dieser interpretiert werden kann, war am Karsamstag im Salzlager Hall zu erleben. Bruno Bonhoure und Khaï-dong Luong hatten den Chor Stimmsalz Hall sowie die Kinder des Gesangsstudios Do-Re-Mi Telfs in den Tagen davor auf ihren Part nebst Inszenierungselementen eingeschworen. Bonhoure verfügt nicht nur über einen durchdringend klaren, wortdeutlichen Tenor, er trommelt und pfeift auch, ist priesterlicher Vorsänger, Zirkusdirektor und ein bisschen Harlekin in einem. An der Spitze seines singenden und auf Blockflöte, Fidel, Psalterion und Schlagwerk spielenden Ensembles La Camera delle Lacrime verwandelte er nicht nur Groß und Klein auf der Bühne, sondern auch noch das Publikum in eine einmütige Pilgerschar, die in die schwungvoll vorgetragenen Wiederholungsmuster der Refrains einstimmte: der gleichsam populäre Höhepunkt des diesjährigen Osterfestivals Tirol.

Schon am Abend zuvor hatte sich am selben Ort ein Totengedenken in eine Feier des Lebens verwandelt. Bewusst am Karfreitag rief Jordi Savall mit Mitgliedern seines Hesperion XXI an Fidel, Orgel und Schlagzeug sowie mit armenischen Musikern den „Geist Armeniens“ an.

Schöne Klagen, schöne Buße

100 Jahre nach dem Beginn des Völkermords eine Verneigung vor unsäglichem Leid – und zugleich eine Art der Erinnerung an Savalls 2011 verstorbene Frau, die Sopranistin Montserrat Figueras, die armenische Musik besonders geliebt hatte. Da formten etwa zwei Duduks, Kurzoboen mit überdimensionalem Doppelrohrblatt, zarte Elegien aus fast allgegenwärtigem Bordun und Melodie, hatten alle Zeit der Welt für ihre wortlosen Klagegesänge, da spannte die expressiv näselnde Kamantsche, eine Stachelgeige, ihre orientalischen Ornamentgirlanden aus. Vor allem aber stimmte Aram Movsisyan entrückte Kantilenen an, etwa die von Orgel und Savalls Diskantgambe mit bewegender Ruhe und Schlichtheit eingefasste, feierliche Ode an das Vaterland „Hayastan yerkir“ von Gaguik Yeranian.

In der historischen Versenkung verschwunden sind gemeinhin jene Machthaber, die nicht bloß aus Prestigegründen, sondern auch „zur Erholung vom Regieren“ hervorragende Musiker auf ihre Gehaltsliste gesetzt haben. So erklärt es jedenfalls ein Kommentar zur Prachthandschrift der „Psalmi Davidis poenitentiales“, komponiert 1584 von Orlando di Lasso für Herzog AlbrechtV. von Bayern. Drei dieser Bußpsalmen interpretierte am Gründonnerstag das Wiener Ensemble Dolce Risonanza mit den singenden Profeti della Quinta in jener Besetzung, die das berühmte Bild der Hofkapelle Hans Mielichs nahelegt: Am klingenden Ergebnis wirkte gerade die Balance von Opulenz und Konzentration plausibel. Das energiegeladene Festivalfinale bildete dann am Ostersonntag in Innsbruck die Neuauflage von Akram Khans Tanztheater „Kaash“: Jubel überall.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.04.2015)

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