Königin Anna regiert weiterhin beinah völlig absolutistisch

WIENER STAATSOPER: 'ANNA BOLENA'
WIENER STAATSOPER: 'ANNA BOLENA'APA/WIENER STAATSOPER / MICHAEL
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In der Staatsoper hat man für Donizettis "Anna Bolena" erneut eine edle Widersacherin für die Netrebko gefunden.

Anna Netrebko ist und bleibt eines der großen Phänomene der Interpretationsgeschichte. Das Opernreich vermag sie scheinbar absolutistisch zu regieren. Wenn sie singt, herrscht atemlose Spannung, nach einer Vorstellung erntet sie Begeisterungsstürme.

Das weiß man zwar schon vorher. Doch schenkt sich diese Künstlerin nichts, erringt die Lorbeeren ein ums andere Mal mit Respekt gebietendem Totaleinsatz. Jetzt gibt es ein Wiedersehen mit Königin Anna Bolena anlässlich der Wiederaufnahme der Erfolgsproduktion der Donizetti-Oper in der ersten Saison der Ära Dominique Meyers.

Wer damals schon dabei sein durfte, gewinnt bei diesem Déjà-entendu-Erlebnis den Eindruck, die Stimme der Primadonna würde mit den Jahren immer noch runder, weicher, samtiger, ohne freilich an Glanz und Höhensicherheit einzubüßen. Jedenfalls durchmisst ihre Stimme in mannigfachen Färbungen und Schattierungen alle Gefühlssituationen der unglücklichen Königin, Liebessehnen und Verzweiflung, Wut und weiser Verzicht schwingen in den Gesangsphrasen mit. Man kann die Seelenregungen hören – und gottlob auch ungestört mitverfolgen, wie sich die Handlungsfäden unentrinnbar verknoten, denn die Inszenierung Eric Génovèses belässt das Stück dort, wo es hingehört: Man trägt die Gewänder der Zeit Heinrichs VIII. und spielt das Stück, wie es im Libretto steht.


Ebenbürtige Rivalin. Das gelingt berührend, das macht betroffen, weil es gelungen ist, wie zur Premiere mit Elina Garanča auch diesmal eine Gegenspielerin zu finden, die auf Augenhöhe mit dieser Königin agieren konnte: Ekaterina Semenchuk, die neue Jane Seymour, vermochte nach etwas unstetem Beginn die vokale Herausforderung anzunehmen.

Bereits im Dialog mit dem König Heinrich des kernig-virilen Luca Pisaroni zügelte sie ihren mächtigen Mezzo auch in Piano-Regionen. Während der Auseinandersetzung mit der Königin lief sie dann zur Hochform auf. Angesichts der seismografischen Registrierungen aller Seelenregungen der beiden Frauen hätte man in den spannungsgeladenen Generalpausen im Staatsopernrund eine Stecknadel fallen hören können.

So spielt man Oper auf allerhöchstem Niveau – auch weil das Orchester unter Andriy Yurkevych am Belcanto-Raffinement teilhat: Man fühlt mit den Primadonnen und setzt selbst noch mit subtilen Holzbläsersoli und einem bemerkenswert wohltönenden Hornquartett entsprechende Glanzlichter auf.

Die Kolleginnen und Kollegen der beiden Hauptdarstellerinnen haben es dagegen nicht leicht. Schon König Pisaroni fungiert mehr als luxuriöser Stichwortbringer. Den verhinderten Liebhaber Anne Boleyns muss Celso Albelo mimen. Seine Stimme klingt am schönsten, wenn er sich vom lyrischen, melodischen Fluss nicht durch Lieferungen tenoraler Höhen ablenken lassen muss: in der Arie an der Seite des treu sorgenden Bruders der Königin, Dan Paul Dumitrescu.

An Souveränität kommt den großen Frauengestalten nur Margarita Gritskova gleich, die in der Hosenrolle des Verräters wider Willen, Smeton, herrlich satte Töne hören lässt und Liebessehnsucht wohlklingend verströmt.

Der Chor, mit großem Engagement mit von der Partie, kommentiert, tuschelt, frohlockt und klagt mitleidig, wie's in Donizettis Büchel steht.

Dergleichen beschert Wien die brisanteste Operngegenwart: Große Gefühle muss man nämlich nicht aktualisieren. Sie sind immer „heutig“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.04.2015)

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