An seinem Geburtstag spielte der Pianist im Großen Konzerthaussaal Brahms, Schumann und Debussy.
Es war wie in alten Tagen: ein Zauber an Farben und musikalischer Ausdruckskraft. Für viele Mitglieder der großen Maisenberg-Fangemeinde schwangen Erinnerungen an vier Jahrzehnte aufregender musikalischer Erfahrungen mit, auch an des Künstlers schweren Unfall und an die im wahrsten Sinn wunderbare Genesung: Jetzt ist es, als wäre die Maisenberg'sche Interpretationskunst nie in Gefahr gewesen...
Eine Auswahl aus späten Klavierstücken von Brahms, holzschnittartig karg, aber durchzogen von impressionistischen Girlanden und Schleiern, melancholische Gedanken- und Stimmungsprotokolle, ungemein dicht in der Aussage, im es-Moll-Intermezzo zu einem schmerzvoll intensiven Crescendo verdichtet.
Schumanns „Carnaval“ danach, ein Vexierspiel kleiner und kleinster Pointen, Aperçus, augenzwinkernd und geheimnisvoll geflüsterten Anekdoten; zur adäquaten Nacherzählung dieser romantischen, hoffmannesken Klangnovellen wechselt Maisenberg von Bild zu Bild die Farbenpalette, als würden stets neue Türen geöffnet und den Blick freigeben auf ungeahnte Begebnisse.
Zuletzt Debussy, der Erste Band der „Préludes“, schon bei den „Tänzerinnen von Delphi“ hält man den Atem an: Der Pianist realisiert die impressionistische Schichtentechnik, als hätte der Steinway mehrere Manuale. Die einzelnen Klangebenen heben sich klar voneinander ab. Ein Klavierstück entsteht wie ein Bild, das sich aus mehreren Lagen durchscheinender Blätter zusammensetzt.
Das ist der pianistische Hexenmeister, der sein Publikum seit den Siebzigerjahren süchtig macht: Wer sonst als Maisenberg vermöchte so kontrolliert unterschiedlichste Register innerhalb der Pianissimo-Region zu ziehen? Jubel – nicht nur des Feiertags wegen! (sin)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.05.2015)