Wer braucht schon viel Musik in Wien?

Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker - Eroeffnung der Wiener Festwochen
Sommernachtskonzert der Wiener Philharmoniker - Eroeffnung der Wiener Festwochen(c) ORF
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Mit dem Philharmoniker-Konzert in Schönbrunn begann ganz klassisch ein Konzert- und Opernreigen spektakulären Zuschnitts, der endlich wieder den Ansprüchen der „Musikstadt“ zu genügen versucht.

Die Wiener Festwochen sind eröffnet. Mit Musik. Das sei in dieser Stadt wohl selbstverständlich, meint der Laie. Der Kenner weiß: So ganz sicher darf man sich nicht sein, dass Veranstalter und Kulturpolitiker sich hierzulande darüber im Klaren sind, wie wichtig die Musik für das Image der Stadt ist. „Musikstadt“, ja natürlich. Aber bei den Festwochen?

Es ist noch nicht so lang her, dass ein frischgebackener Festwochen-Häuptling gemeint hat, musikalische Darbietungen könnte man aus dem Programm der Wiener Festwochen überhaupt entfernen, denn es sei über das Jahr ohnehin genug Musik zu erleben in der – ja, eben: Musikstadt.

Die Meinung hat sich nicht durchgesetzt, obwohl die Festwochen, das alljährliche Kulturfestival der Stadt im Frühjahr, über eine längere Frist einen sogenannten Musik-Chef beschäftigt haben, in dessen Ära keine einzige musikalische Großveranstaltung stattgefunden hat, an die sich irgendjemand spontan erinnern könnte.

Erstaunlicherweise machte man daraufhin einen Mann zum Festwochen-Intendanten, der als Konzertveranstalter berühmt geworden – und auch noch selbst Pianist ist: Markus Hinterhäuser hat denn auch für 2015 ein Programm präsentiert, das starke musikalische Akzente setzt – und zwar jenseits jener traditionellen Klassikpflege, deren Versatzstück die Eröffnungsveranstaltung war: Erstmals hielten die Wiener Philharmoniker ihr schon gewohnheitsmäßig an einem kühlen, diesmal gottlob nicht verregneten Frühlingstag stattfindendens Freiluftkonzert in Schönbrunn als Festwochen-Eröffnungskonzert ab.

Eine „tödliche Blume“ zum Auftakt

Mit Zubin Mehta am Pult und dem Pianisten Rudolf Buchbinder gab man ein mehrheitlich nordisches Programm, Edvard Griegs Klavierkonzert und die populäre Peer-Gynt-Suite im Zentrum. Da strömten offizielle Zählungen zufolge mehr als 100.000 Menschen in den Schlosspark und lauschten – und tanzten zuletzt zu den wie immer als Zugabe musizierten Klängen des Strauß-Walzers „Wiener Blut“. Schöner kann man die Bedeutung, die der sogenannten klassischen Musik hierzulande immer noch zukommt, ja kaum demonstrieren. Die Sache wurde via TV auch ins Ausland getragen. – Und nun dürfen die Festwochen in weniger beliebten Repertoire-Gefilden ackern.

Hinterhäuser, der demnächst zu den Salzburger Festspielen abwandert, hat für diesmal durchaus an eine wienerische Festivaltradition angeknüpft, wenn er wichtige Werke der sogenannten klassischen Moderne und der avantgardistischen zeitgenössischen Produktion in luxuriösen Produktionen zeigen lässt.

Da inszeniert Andrea Breth Barók und Schumann, Achim Freyer – zum Auftakt am heutigen Samstag – die 1998 entstandene Oper „Luci mie traditrici“ („Die tödliche Blume“), in der Salvatore Sciarrino, Parade-Avantgardist der Gegenwart, einem Parade-Avantgardisten der Renaissance, Gesualdo, Fürst von Venosa, seinen musiktheatralischen Tribut zollt. Überdies stellt man das Schaffen eines der großen, im stalinistischen Russland zur inneren Emigration gezwungen russischen Modernen vor, Mieczysław Weinberg würdigt man im zum Festwochen-Hotspot umgestalteten Künstlerhaus-Bezirk und im benachbarten Musikverein.

Seefehlners legendäre Musikfeste

Was das mit wienerischer Tradition zu tun hat? Eingefleischte Musikfreunde haben noch nicht vergessen, dass die Wiener Festwochen in Wahrheit aus einer Avantgard-Veranstaltungsserie hervorgegangen sind, die der einstige Konzerthaus-Generalsekretär und spätere Staatsoperndirektor Egon Seefehlner ins Leben gerufen hat. Unter seiner Ägide kam einst die Crème de la Crème der zeitgenössischen Musik nach Wien, um hier Neue Musik vorzustellen (und übrigens auch, um barockes Repertoire wiederzubeleben!). Und zwar buchstäblich aus allen Richtungen, von Paul Hindemith und Igor Strawinsky bis zu Pierre Boulez und Karlheinz Stockhausen. Im Zuge der Festwochen erlebten auch wichtige Werke des zeitgenössischen Repertoires – von Bergs „Lulu“ bis Gottfried von Einems „Dantons Tod“ – ihre Wiener Erstaufführungen.

Im Übrigen findet man auch anno 2015 in Musikverein und Konzerthaus Veranstaltungen mit den beliebtesten Interpreten unserer Tage – von Mariss Jansons bis zu Christian Thielemann; zur Festwochenzeit, wenn auch nicht notwendigerweise als Bestandteil des offiziellen Festwochen-Programms. An großer Klassik herrscht in Wien ja kein Mangel, so weit muss man dem Musikmuffel im Festwochen-Direktorium ja recht geben...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.05.2015)

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