Staatsoper: Diese zauberhafte Waldnymphe verführt alle

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Klassisches Ballett wie aus dem Märchenbuch: „La Sylphide“ kehrt ins Repertoire zurück, und die Wiener Compagnie demonstriert ihre Stärken, solistisch wie in den großen Szenen des Corps de ballet.

Es ist, als ob ein Märchenbuch lebendig würde: Die Dekors, die Kostüme, die Handlung versetzen uns in Zeiten zurück, als wir staunend den Geschichten von den fürchterlich schönen, schaurig wonnigen Begebenheiten im finsteren Wald gelauscht haben. Und einer Generation, der keine Märchen mehr vorgelesen wurden und die das Bilderbuch durch den Bildschirm ersetzt bekam, öffnet sich eine verloren geglaubte Welt.

Es ist ja gar nicht wahr, dass heutzutage brutalere Geschichten verbreitet werden, auch wenn im Hauptabendprogramm des Fernsehens die Leichen sich in unzählbaren Krimiserien nur so stapeln.
Die Sache mit der „Sylphide“ ist doch viel wilder, reicht hinunter in ahnungsvolle Seelentiefen: Der brave James (Denys Cherevychko) wird von einer Traumvision (Irina Tsymbal) heimgesucht, die ihm bald realer scheint als die Liebe zu seiner Verlobten.

Auch wenn die – in Gestalt von Kiyoka Hashimoto – eine wunderbare Begleiterin zu werden verspricht: Im Pas de deux kann sie der kraftvollen Attitüde ihres Zukünftigen durchaus Paroli bieten, zeigt sich virtuos und akkurat gleichermaßen; die Großzügigkeiten überlässt sie dem Herrn der Schöpfung.

Der ist ganz in seinem Element, wenn er seine Kraftreserven ungezügelt ausspielen darf, sprungmächtig und vor allem ungemein fantasievoll, wenn es gilt, kühne choreografische Kombinationen geschmeidig ineinanderfließen zu lassen.

Auch gelingt es Cherevychko, die Erregung, in die ihn die Begegnung mit dem Zauberwesen versetzt, in Gebärde und Bewegung umzumünzen. Irina Tsymbal spielt aber auch alle weiblichen Reize aus: Eine Feengestalt ist sie, das ja, so federleicht aus Luft gebildet, dass es keinesfalls verwundert, wenn sie durch den Kamin davonfliegt.

Sinnlichkeit von Fleisch und Blut

Andererseits ist sie im Umgang mit dem Begehrten von einer Koketterie, die ihresgleichen sucht; und die Sinnlichkeit, die ihre elegante Arm- und Beinarbeit verspricht, scheint jedenfalls von Fleisch und Blut . . .
So wendet sich der Umworbene von der im Hinblick auf Anmut und Prägnanz durchaus ebenbürtigen Verlobten ab – und springt behend ins ungewisse, transzendente Abenteuer. Die ausdrucksstarke Hexe von Andrey Kaydanovskiy hatte ihn zwar gewarnt, freut sich aber zu Beginn des Wald-Aktes mit ebenso beeindruckender Häme über die Opfer, die ihr nun zufallen.

Eine der großen Stärken der Choreografie von Pierre Lacotte ist ihr unbändiger Variantenreichtum: Das hoch motivierte Corps de ballet wechselt geschmeidig von Reih und Glied ins duftige Ringelreihen und exekutiert sogar vor, wie viele höchst unterschiedliche Möglichkeiten es gibt, eine bewegte Zuschauerschar zu mimen. Es passiert oft auch dann allerhand, wenn gerade die Solisten am Wort sind.

Eva Polacek als Mutter und Kamil Pavelka als Freund und Tröster der armen Verlobten geben knappe, aber charaktervolle Statements ab. Das Pärchen in der Pas-de-deux-Einlage, Ioanna Avraam und Davde Dato, ist im wahrsten Sinn des Wortes bereits auf dem Sprung zu jener Souveränität, die ihm von den Hauptdarstellern an diesem Abend vorexekutiert wird. Und das Orchester, um die nötige tänzerische Leichtigkeit bemüht, wird wohl die noch unterschätzten heiklen Passagen in den Griff bekommen. Unter Maestro Kevin Rhodes passt man sich jedenfalls perfekt den Ansprüchen der Tänzer an.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2015)

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