Musikverein: Einmal Brahms zu viel

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THEMENBILD: STADTPORTR�T WIEN - WIENER MUSIKVEREIN(c) APA/ROLAND SCHLAGER (ROLAND SCHLAGER)
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Das Budapester Festivalorchester unter Iván Fischer brachte zwei Brahms-Symphonien.

„Eine Frage, Herr Fischer...“: So heißt die Videoclip-Serie, in der Iván Fischer als Chef des Konzerthausorchesters Berlin vergnüglich und erhellend aus dem dirigentischen Nähkästchen plaudert. Interessant wäre etwa, ob und wie es seiner Ansicht nach die Interpretation von Werken beeinflusst, ob sie vor oder nach der Konzertpause erklingen. Am Donnerstag gastierte Fischer nämlich auf Einladung der Jeunesse mit seinem famosen Budapester Festivalorchester im Musikverein, und zwar mit einem gewichtigen Programm: den Symphonien Nr. 1 und 2 von Brahms.

Das musikalische Niveau war hoch – und bei der Zugabe mutierten die Ungarn sogar noch zum A-cappella-Chor. Fischer hat präzise Vorstellungen, die oft vom Durchschnitt abweichen, aber ganz natürlich ausmusiziert werden können: Schon im Stirnsatz der c-Moll-Symphonie schärfte er die Tempokontraste und setzte die Einleitung überdeutlich breit vom rasch genommenen Allegro ab. Seine klug gliedernde Dramaturgie erlaubte dennoch kein Schleppen und ließ auch noch wunderbare Details hören. Herrlich, wie die samtigen, groß besetzten Streicher „Dolce“-Vorschriften mit winzigen Portamenti umsetzten, zu welch dramatisch flirrendem Hin und Her die Violingruppen einander in der düsteren Finaleinleitung ergänzten, wie nobel der Posaunenchoral erstrahlte, zu dem das Kontrafagott sanft, aber sonor den Bass mitbrummte! Und die Temposteigerung zur Stretta hin gelang exemplarisch.

Aber vor der Pause? „Das Finale hätte etwas großartiger sein können“, soll Furtwängler einmal eine Karajan-Aufführung von Brahms' Haydn-Variationen kommentiert haben. Dass dieser Befund auch hier zutreffen würde, ahnte man schon während der ersten Symphonie: Mit dem Adrenalinschub eines Konzertschlusses wäre sie noch überzeugender geraten. Dass danach die Zweite in D-Dur folgte, die ihren Schwerpunkt im ersten, nicht im leichtgewichtigeren vierten Satz hat und noch dazu nicht ganz so prägnant geriet, besiegelte das Fehlen einer schlüssigen Dramaturgie: Ob sich zwei Brahms-Symphonien nicht doch gegenseitig ausschließen? Eine Frage, Herr Fischer...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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