Staatsoper: Ein Opernkrimi wie fürs aktuelle Hauptabendprogramm

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Zum Saisonausklang gibt man noch einmal Paul Hindemiths „Cardillac“ in Sven-Eric Bechtolfs expressionistischem Stummfilmambiente.

Der erste Versuch mit Paul Hindemiths „Cardillac“ an der Wiener Staatsoper brachte es auf drei Aufführungen. Das war 1927, immerhin ziemlich bald nach der Uraufführung des Werks. Einen Zweitversuch wagte man im Ausklang der Ära Herbert von Karajans, 1964. Da spielte man das Stück sechs Mal. Erst 30 Jahre später aber gelang es, mit Marco Arturo Marellis gelungener Produktion – auch dank Franz Grundhebers packender Interpretation des Titel-Antihelden –, mehr als ein Dutzend Wiederholungen zu erspielen.

Dann galt dem „Cardillac“ die Einstandspremiere des inzwischen wieder ausgeschiedenen Wiener Generalmusikdirektors Franz Welser-Möst. Der Erfolg war eminent – deshalb steht nun schon die dritte „Cardillac“-Serie in der Inszenierung Sven-Eric Bechtolfs auf dem Programm. Und wieder zeigt sich das Publikum beeindruckt: Die Geschichte vom mörderischen Goldschmied, die der Komponist in einer Erzählung E. T. A. Hoffmanns fand, hat der Regisseur – ganz der Entstehungszeit der Partitur adäquat – in Stummfilmbilder aufgelöst.

Darin befleißigt sich Bechtolf einer recht marionettenhaft gezierten Personenführung, die quasi auf Bewegungsdistanz zum durchaus expressionistischen Wortschwall des Librettos von Ferdinand Lion geht.

Barock, expressionistisch aufgeladen

Womit Paul Hindemiths artifizieller formaler Neoklassizismus sich in gewisser Weise in den Bildern spiegelt; freilich: Dass die barocken Concerto-Gesten sich immer wieder mit höchst expressionistischem Gehalt aufladen, wird nur dank der Vokalkünste des – fast durchwegs neuen – Sängerensembles deutlich. Wenn Angela Denoke als Cardillacs Tochter und Herbert Lippert als Offizier von ihrer verqueren Liebesbeziehung und ihrer Fixierung auf den egomanischen Goldschmied singen, dann schwingen die Gefühle in intensiv phrasierten Melismen mit. Da mögen aus dem unter Michael Boder herrlich präzis aufspielenden Orchester noch so fein ziselierte kontrapunktische Gegenstimmen herauftönen: Im Verein mit dem Gesang entpuppt sich Hindemiths angeblich distanziert-sachliche Klangsprache als durchaus opernhaft.

Die Handlung ist ja ein veritabler Krimi, der dem heutzutage im TV-Hauptabendprogramm servierten Nervenkitzel kaum nachsteht: Der berühmteste Goldschmied im Paris des Ancien Régime holt sich nächtens als Mörder seiner besten Kunden seine Geschmeide zurück. Tomasz Konieczny verleiht dem unerbittlichen Fanatismus dieses genialen Kunsthandwerkers optisch wie akustisch bezwingende Gestalt: Besessen von der Schönheit und Vollkommenheit des eigenen Schaffens, vereint der große Singschauspieler da Wotan und Alberich quasi in einer Person, rettet Wagner sozusagen in den bewussten Anti-Wagner-Stil der musikalischen Moderne.

Höchstes Ausdruckspotenzial schöpfen auch Cardillacs erstes Bühnenopfer, der Kavalier von Matthias Klink, und dessen Muse, die „Dame“, der Hindemith es am leichtesten macht: Ihr schenkt er eine von subtil ausregistrierten Streichakkorden umschmeichelte Arie, die jene schwülen Erotizismen reflektiert, an denen sich das Opernpublikum von Komponisten wie Zemlinsky oder Schreker in jener Ära der Nach-Wagner-Ästhetik delektierte: Olga Bezsmeertna nützt die Gunst des Augenblicks und verströmt ganz belkantesk ihren schönen Sopran.

Der Chor hat in vulkanösen Auftritten in den Außenakten seine starken Minuten – hörens- und sehenswert das Ganze! (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.06.2015)

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