München: Seelenpein in der Empfangshalle

(c) Opernfestspiele München
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Die Opernfestspiele eröffneten mit Debussys „Pelléas et Mélisande“: musikalisch auf hohem Niveau, szenisch eigenwillig. Die vielen Buhrufer übertrieben aber.

Die Lobby eines gestylten Hotels, der Empfangsschalter eines schmucklosen (Möbel-)Geschäfts, gar der Abholschalter der Post, von dem im Lauf des Abends immer wieder kleinere oder größere Pakete abgeholt werden? Bühnenbildnerin Maria-Alice Bahra hat sich für Debussys fünfaktige Oper in zwölf Bildern, mit der – diesmal nicht in der Staatsoper, sondern im Prinzregententheater – die Münchner Opernfestspiele begonnen haben, ein Ambiente einfallen lassen, das unterschiedliche Deutungen zulässt. Ganz im Einklang mit der Regisseurin dieser Produktion, der bisher mehr im Theater als in der Oper präsenten Christiane Pohle. „In ,Pelléas et Mélisande‘ gibt es verschiedene Arten von Anziehung, Verstrickung, Projektion und Sehnsucht, Glück und Katastrophe. Es gibt nur kein Konzept“, sagte sie in einem Interview.

Überraschende, skurrile Bilder

Meist wird Debussys Oper als französische Antwort auf Wagners „Tristan und Isolde“ gesehen und entsprechend auf die Dreierbeziehung Golaud, Pelléas und Mélisande reduziert. Gewiss, auch in Pohles Inszenierung stehen diese drei Personen im Zentrum, aber meist zusammen mit anderen Protagonisten. Das ergibt – zumal durch Personenverdoppelungen, Personen, die sich im Glas der Türen spiegeln oder mit Tierköpfen erscheinen, in einem Fall als eine Art Ikarus die Bühne betreten – so überraschende wie skurrile Bilder und Situationen. Durchaus vergleichbar mit so mancher Regiearbeit von Christoph Marthaler und seiner Bühnenarchitektin Anna Viebrock, die Pohle und ihr Team bei dieser Auseinandersetzung sichtlich inspiriert haben. Nur dass Marthaler seine Personen allemal konziser zeichnet, die Bilder bewusster komponiert, auch mit dem jeweiligen Text stärker in Einklang zu bringen versteht.

Genau das ist die Schwäche dieser immer wieder auch mit dem Gestaltungsmittel der Zeitlupe operierenden Inszenierung. Auch wenn es reichlich übertrieben war, diese ins Heutige transferierte Lesart am Ende derart einhellig auszubuhen. Denn Pohles Ansatz ist richtig, wenn auch zu wenig konsequent umgesetzt. Denn wo, wenn nicht in einer Art Empfangshalle, in der einander zumeist unbekannte Personen begegnen, unterschiedliche Aktionen setzen, lässt sich die zerstörte Kommunikationsfähigkeit einer Gesellschaft, die schließlich zur seelischen Zerstörung Einzelner führt, plausibler zeichnen? So nämlich deutet Pohle dieses Sujet. Freilich sollte dieses ständige Kommen und Gehen, dieses Herumrücken und Hin- und Herstellen von Sesseln deutlicher mit Debussys feinsinniger Musik koordiniert sein, die durch derartige Bilderfolgen zuweilen in den Hintergrund rückt. Auch wiederholen sich die Bilder im Lauf des Abends, verlieren damit an Eindringlichkeit, vor allem an Plausibilität.

Markus Eiche: Überragender Golaud

Dabei überzeugte der musikalischer Teil dieser ersten Münchner Festspielpremiere weit mehr als die szenische Realisierung. Selbst wenn bei allem Bemühen um eine penible Ausgestaltung des heiklen Orchesterparts das Bayerische Staatsorchester zuweilen bis an die Grenzen seiner klanglichen Möglichkeiten gefordert schien. Aber der bereits vor vier Jahren mit dem Carlos-Kleiber-Preis der Freunde des Nationaltheaters München ausgezeichnete Dirigent Constantinos Carydis sorgte für einen insgesamt spannenden Premierenabend. Er zeigte sich mit Debussys diffiziler Partitur bestens vertraut und war dem homogenen Sängerensemble auch ein feinfühliger Begleiter.

An der Spitze der artikulationsklare, elegant phrasierende Markus Eiche als seine Verzweiflung intensiv darstellender, alle überragender Golaud. Elena Tsallagova lieferte nach etwas zögerlichem Beginn eine packende Studie als zerbrechliche Mélisande. Hätte er nicht da und dort gegen Höhenprobleme anzukämpfen gehabt, wäre auch Eliott Madore ein idealer Pelléas gewesen. Von seiner Erscheinung ist er es schon jetzt. Sonor gab Alastair Miles den Arkel. Untadelig Okka von der Damerau als betont altmodisch auf die Bühne gestellte Geneviève, hervorragend Hanno Eilers, ein Tölzer Sängerknabe, als Yniold. Als rollendeckend erwiesen sich auch die übrigen Protagonisten, einschließlich dem von Sören Eckhoff präzise einstudierten Chor der Bayerischen Staatsoper.

Münchner Festspiele: Die nächste Premiere, am Montag, den 6.Juli, gilt „Arabella“ von Richard Strauss in der Inszenierung von Adolf Dresen und unter der musikalischen Leitung von Philippe Jordan.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2015)

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