Wie Beethoven mit Musik Politik machte

Singer Konieczny performs on stage during a dress rehearsal of Ludwig van Beethoven's opera 'Fidelio' in Salzburg, Austria July 29, 2015.
Singer Konieczny performs on stage during a dress rehearsal of Ludwig van Beethoven's opera 'Fidelio' in Salzburg, Austria July 29, 2015. REUTERS
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Das Hohelied der Gattenliebe wird im Finale des großen Opernklassikers gesungen. Die Klänge sind von Anfang an zu Zwecken der politischen Machtdemonstration ge- und missbraucht worden.

Immer wird „Fidelio“ gespielt, wenn es ums Besiegeln politischer Fakten geht. Die Aufführung zur Wiedereröffnung der Wiener Staatsoper im November 1955 ist legendär, feierte man doch auch die Unterzeichnung des Staatsvertrages. Zehn Jahre zuvor, wenige Monate nach dem Ende des Krieges, hatte man das notdürftig instand gesetzte Theater an der Wien als Ausweichquartier der Staatsoper ebenfalls mit „Fidelio“ eröffnet.

Es ist, graben wir weiter in der Aufführungsgeschichte, auch bestimmt kein Zufall, dass wenige Tage nach Ausrufung der Ersten Republik, 1918, in jenem Haus, das dann nicht mehr „k. k. Hofoperntheater“ heißen durfte, „Fidelio“ auf dem Programm stand.

Was zwischen diesem und den erstgenannten Daten passierte, blenden die Betrachter in der Regel aus. Wobei die Nachgeborenen gewiss wenig Anstoß an der Tatsache nehmen, dass man den 100. Todestag des Komponisten mit einer festlichen Premiere seiner Oper beging. Die Produktion Lothar Wallersteins stand dann lang im Repertoire und wurde noch am 9. Februar 1938, wenige Wochen vor dem sogenannten „Anschluss“, gegeben.

Dass danach die Kulissen neu gemalt wurden, ist zwar nicht anzunehmen, dennoch schien der Name des langjährigen Oberspielleiters der Staatsoper bei der folgenden Reprise seiner Produktion nicht mehr auf: „Spielleitung: Stefan Beinl“, hieß es am 27. März. Wallerstein war bereits geflüchtet, ebenso der bedeutende Bassist Alexander Kipnis, der im Februar noch den Rocco gesungen hatte. Jüdische Künstler durften nicht mehr dabei sein, lud man doch zu einer „Festvorstellung aus Anlass der Anwesenheit des Ministerpräsidenten Generalfeldmarschall Hermann Göring“.

Eine Pointe der Interpretationsgeschichte am Rande: In der kleinen Partie des Ersten Gefangenen hörte der Herr Generalfeldmarschall einen Tenor namens Anton Dermota, den im Jahr zuvor Dirigent Bruno Walter aus Klausenburg nach Wien geholt hatte.

Dermota blieb dem Haus und dem „Fidelio“ über alle Wirren und Misshelligkeiten erhalten. In der Premiere im Theater an der Wien, 1945, sang er – unter Josef Krips, der die letzte „Fidelio“-Aufführung der Staatsoper vor dem „Anschluss“ dirigiert hatte – den Jaquino, 1955 war er dann unter Karl Böhm der Florestan . . .

Die Frage, was Beethoven über Festbräuche und den Missbrauch seiner Oper gesagt hätte, ist nicht so müßig, wie man meinen möchte. Er selbst sah es nicht ungern, dass „Fidelio“ in der Ära des Wiener Kongresses zu Zelebrationszwecken aufs Programm gesetzt wurde, etwa als es galt, den Namenstag des Kaisers Franz zu feiern.

Er komponierte sogar eigens zu diesem Anlass die Ouverture „Zur Namensfeier“, die aber wegen Probenmangels nicht aufgeführt werden konnte. Das Stück ist für die Betrachtung des „politischen Komponisten“ Beethoven aufschlussreich. Denn die musikalischen Themen der „Namensfeier“ finden sich in den Skizzenbüchern aus der Zeit der Symphonien 7 und 8, offenkundig für die Vertonung von Schillers „Ode an die Freude“ bestimmt, die bekanntlich Eingang in die Neunte Symphonie gefunden hat. Sie wiederum ist nebst dem „Fidelio“ das zweite große Repräsentationswerk des Meisters, das spätere Generationen gern zu Gala-Anlässen musizieren.

Wie bei der Oper scheint auch bei der Symphonie der Text, für sich betrachtet, gar keine politischen Dimensionen zu suggerieren. Diese wachsen ihm jeweils durch die hymnische Musik zu. „Fidelio“ handelt laut Libretto ja nicht von der Befreiung des Menschengeschlechts an sich, sondern ist das Hohelied der ehelichen Liebe und Treue. Schiller wiederum huldigt der „Freude“; wobei freilich einem politischen Kopf, der immerhin den „Don Karlos“ ersonnen hat, kaum unterstellt werden kann, die Freude, die er meint, wenn er sein „Alle Menschen werden Brüder“ anstimmt, könnte nichts mit dem Freiheitsgedanken zu tun haben.

Noch weniger dürfen wir annehmen, dass Beethoven, ein nicht minder politisch interessierter Künstler, sich für seine Oper oder die Neunte Symphonie ein biedermeierlicheres Programm zurechtgelegt haben könnte als etwa für seine „Eroica“. Bei dieser sind politische Konnotationen offensichtlich. Für welche Partei des Komponisten Herz schlug, als die napoleonischen Kriege ganz Europa erschütterten, scheint die Widmung auf dem Titelblatt des Werks zu dokumentieren: „Geschrieben auf Bonaparte“, stand da zu lesen.

Aber nur, so lang der Feldherr auszog, um gegen die alten Herrschaftsstrukturen vorzugehen. Als Napoleon sich zum Kaiser der Franzosen krönte, kratzte der Komponist die Dedikation aus dem Notenpapier. Die Gesellschaft der Musikfreunde bewahrt dieses Dokument eines wahrhaft musikhistorischen Wutausbruchs für die Nachwelt auf.


Die Fünfte und die Revolution. An Beethovens humanistischen Visionen sollte sich nichts ändern. Die revolutionären Ideale „Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit“ gehörten zu Beethovens Glaubensbekenntnis. Er betete es zumindest in den Symphonien höchst beredt; lange Zeit auch ohne Worte.

„C'est l'Empereur, vive l'Empereur“, rief ein französischer Offizier, als anlässlich der Erstaufführung der Fünften in Paris das martialische Finalthema losbrach. Er hatte sozusagen missverstehend verstanden: Für den Kriegsveteranen waren der Kaiser und die revolutionären Ideale synonym. Dass die c-Moll-Symphonie in eine französische Revolutionsfanfare mündet, entging den Zeitgenossen jedenfalls nicht. („Durch Nacht zum Licht“, nannten das die Nachgeborenen.)

Derlei Assoziationen machten den Meister für die Behörden im Zeitalter Metternichs jedenfalls suspekt. Da half es wenig, dass Beethoven schon am Beginn der Koalitionskriege auch „Das Kriegslied der Österreicher“ in Musik gesetzt hatte: „Ein großes deutsches Volk sind wir,/Sind mächtig und gerecht./Ihr Franken, das bezweifelt ihr?/Ihr Franken kennt uns schlecht“.

Mehr Freude als schöner Götterfunke zündet auch im rasanten C-Dur-Chor des für die Einweihung des Theaters in Pest komponierten Festspiels „Die Ruinen von Athen“: „Er ist's“, lässt Textdichter August von Kotzebue dort die Massen jubeln angesichts eines erhebenden Neuzugangs bei den Skulpturen im Tempelhain: Zwischen den Porträts zweier Musen steht nun festgemauert die Statue des Kaisers (und ungarischen Königs) Franz.


Ein Fall für die Geheimpolizei. Beethovens mit Abstand populärstes Werk war ja auch nicht eine Symphonie oder eine Sonate, sondern das tönende Schlachtengemälde, das „Wellingtons Sieg“ in der Schlacht bei Vitoria feierte, akustisches Breitwandkino mit komponiertem Kriegslärm und Siegesfeier inklusive Kanonendonner und knatternden Gewehrsalven.

Die Skepsis der Geheimpolizisten ließ sich durch patriotisches Gekrache ebensowenig lindern wie durch die hochoffizielle Kantate „Der glorreiche Augenblick“, mit der die Besiegelung der Kongressakte musikalisch gefeiert wurde. Im Protokoll versuchen die Beamten auch, des Komponisten künstlerische Bedeutung zu relativieren: „Gegenüber von Rasumovsky, Apponyi, Kraft, welche Beethoven vergöttern, steht eine weit überzählende Majorität von Kennern, die von des Herrn Beethoven Composition gar keine Musik hören wollen“. – Die polizeiliche Vermutung hat sich nicht ganz bewahrheitet. In Salzburg hat am 4. August jedenfalls „Fidelio“ Premiere.

Fakten

Uraufführungen.„Fidelio“ ist eine der wenigen Opern, bei der man das Wort Uraufführung in den Plural setzen muss. Die Urfassung erklang 1805 im Theater an der Wien und wurde aufgrund der französischen Okkupation der Stadt so gut wie ignoriert. 1814 erklang im Theater nächst dem Kärntnertor die heute meist gespielte Endfassung.

In Salzburg erklang „Fidelio“ zur Festspielzeit erstmals 1927. Premieren leiteten unter anderen Arturo Toscanini, Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Herbert von Karajan und Lorin Maazel.

Premiere 2015. Die Neuinszenierung dieses Sommers besorgt Claus Guth. Am Dirigentenpult: Franz Welser-Möst.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2015)

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