HK Gruber: "Weill soll man wie alte Musik spielen"

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Am Samstag führte HK Gruber mit dem Ensemble Modern bei den Salzburger Festspielen in der Felsenreitschule die „Dreigroschenoper“ konzertant auf.

Die Presse: Sie haben Dutzende Male „Die Dreigroschenoper“ und auch mehrfach andere Werke von Kurt Weill aufgeführt. Was war, was ist das Moderne an ihm?

HK Gruber: Nach dem Ersten Weltkrieg entstand 1918 die „Novembergruppe“, vor allem Maler, Architekten und auch Musiker aus dem Umfeld von Weills Lehrer Ferruccio Busoni. An Komponisten waren zudem Wladimir Vogel, Stefan Wolpe und Hanns Eisler dabei. Diese Gruppe wollte Kunst in die Massen bringen, weg vom Elitären. Die Architekten entwickelten zum Beispiel die Fertigteil-Idee. Von den Musikern war nur Weill absolut erfolgreich, was das Ziel betrifft, Kunst für das Volk zu schaffen. Eisler hat das auch zum Teil mit seinen Agitprop-Liedern erreicht – für damals ein modernes Konzept.

Was sagten die elitären Modernen dazu?

Weill war besonders gefordert, weil Arnold Schönberg in Wien die Zwölftontechnik verkündet hatte, mit dem Anspruch, dadurch für 100 Jahre die Vorherrschaft der deutschen Musik sichergestellt zu haben. Diese faschistoide Idee war für Weill sicher nicht erstrebenswert. Er hat seine Musik demonstrativ vereinfacht, hat die Tonalität immer weniger infrage gestellt, zugleich aber Mittel beibehalten, die Komplexität zu wahren. So gesehen war er damals sehr avantgardistisch, aber auch in Opposition zur Wiener Schule. Er wollte kommunikative Musik schreiben und blieb dabei der Novembergruppe treu. Bei ihm hört sich die bürgerlich-symphonische Musik auf. Sicher gibt es bei Weill auch Umbrüche, vor allem nach der Emigration 1933. Er hat in den USA ab 1935 eine vollkommen neue Karriere eingeschlagen, wurde führender Komponist am Broadway, mit Musical Plays. Die Verklammerung zu Europa zuvor ist das Melodische.

Nennen Sie ein konkretes Beispiel.

Vergleichen Sie „Surabaya Johnny“ mit dem „September Song“! Beide haben unglaublich raffinierte Melodien, beide sind fantastisch harmonisiert. Diesen Komponisten von „Unterhaltungsmusik“ zeichnet aus, dass sie einfach klingt, er ihr aber einen harmonischen Unterbau gibt. Da ist er ein symphonischer Komponist geblieben, das macht ihn für mich zu einem zeitlosen Meister. Er wird nie kommerziell auf Kosten der Substanz. Er weiß uns mit seiner Musik zu ergötzen, ohne dass wir dabei verblöden. Diese Verblödung im U-Bereich verurteile ich. Man muss doch nicht alles „versongcontesteln“! Unterhaltung kann es auch auf intellektuell hohem Niveau geben. Denken sie an Francis Poulenc im Frankreich der Zwanzigerjahre.

Denken wir dabei auch an Ihre Musik und die Ihres Umfelds. Da gibt es doch Parallelen zu der Situation der Zwanzigerjahre.

Alles, was in den Sechzigerjahren Neue Musik genannt wurde, war an Darmstadt orientiert. Das Zentrum dort entwickelte die serielle Technik – vereinfacht ausgedrückt ist sie eine Fortführung der Zwölftonmusik. Dieses Zentrum für das Zeitgenössische diktierte sozusagen, wie man zu komponieren hatte. Mir als jungem Künstler widerstrebte diese Art der Musik. Für mich muss der Komponist eine Sprache entwickeln, die sich ohne fachkundige Einführungsvorträge direkt ans Publikum wendet und sofort verstanden wird. Da sind Kurt Schwertsik und ich auf eine Idee gekommen, für die wir als „Wiener Kasperln“ bezeichnet wurden. Wir haben „MOB art & tone Art“ gegründet, ein Pendant zu dem, was Weill und Eisler in Berlin entwickelt haben: Vereinfachung der Musik, ohne auf Komplexität zu verzichten. Wir haben Rhythmus, Harmonie und Melodie als die drei wichtigsten Elemente der Musik angesehen. Das war damals ein Vergehen, für das man aus dem Zentralkomitee Neuer Musik fristlos ausgeschlossen wurde.

Diese Musik ist also einfach kompliziert?

Die Nebenstimmen sind das, was bei Kurt Weill die Qualität seiner Musik ausmacht. Unter der Melodie spielt sich eine Schlangengrube an Kontrapunkten ab. Es gab damals niemanden, der so raffiniert wie dieser Komponist einfachste Tonfolgen harmonisierte.

Was kann man heute für sein Werk tun?

Man sollte es in erstklassigen Aufnahmen verbreiten, es gab leider bisher viele zweit- und drittklassige. Die Situation könnte viel besser sein, das ist aber eine Geldfrage. Vom amerikanischen Weill gibt es auch nicht genügend Produktionen, die den Stücken gerecht werden, sowohl bei den Sängern als auch instrumental. Nirgends schleicht sich schneller Schmiere ein als bei Weill. Der Normalverbraucher orientiert sich bei seiner Musik an der Oberfläche. Das aber ist zu wenig. Wesentlich ist nämlich, was bei ihr darunterliegt. Da müssen die Harnoncourts unserer Zeit auftreten und sich genau um die Ecken und Kanten dieser Musik kümmern, um die Nebenstimmen etwa, die oft wichtiger sind als die Hauptstimmen.

Erzählen Sie von Ihren Weill-Projekten.

Ich hatte das Glück, die „Dreigroschenoper“ mit dem Ensemble Modern einzuspielen. Die können die Musik millimetergenau. Mit ihnen solche Alte Musik – dazu zählt die von Weill ja inzwischen – aufzuführen, ist herausfordernd. Man muss wie bei Mozart herausfinden, was zwischen den Zeilen steht. Da geht es um Klangfarbe, Phrasierungen. Dieses Wissen setzt Weill noch wie ein alter Meister voraus, als wäre er Schubert. Ich sage den Orchestermusikern, sie sollen ihn nach Lust und Laune wie Alte Musik spielen. Wo wir dann an die Grenze zur Geschmacklosigkeit kommen, spiele ich Schiedsrichter. Dann einigen wir uns auf eine gewisse Form von Zurückhaltung. Erst aber wird musiziert.

ZUR PERSON

HK Gruber, * 1943 in Wien, Komponist, Orchestermusiker (Horn, Kontrabass), Chansonnier, Dirigent, 1963 in der Meisterklasse bei Gottfried von Einem. 1968 Mitbegründer des Ensembles „MOB art & tone Art“, 1983 künstl. Leiter des Ensembles „die reihe“.

Werke: „Frankenstein!!“ (UA 1978), „der herr nordwind“ (2005), „Geschichten aus dem Wiener Wald“ (2014), Konzerte für Violine, Cello, Trompete.

Auf CD: „Charming Weill“, „Roaring Eisler“, „Berlin im Licht“, „Die Dreigroschenoper“ (mit Max Raabe).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.08.2015)

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