"Re-Sound": Beethovens Neunte fast wie im Jahr 1824

Martin Haselböck
Martin Haselböck(c) imago/Rudolf Gigler (imago stock&people)
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„Re-Sound Beethoven“. Martin Haselböck und sein Orchester Wiener Akademie spielen Beethovens Symphonien auf alten Instrumenten – sie bringen sie zurück in ihre originalen Räume: Am Samstag hört man die Neunte in der Hofburg.

Die Presse: Herr Haselböck, Sie haben in der letzten Saison begonnen, Beethovens Symphonien in ihren Uraufführungssälen neu zu interpretieren und aufzunehmen. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Martin Haselböck: Auslöser war Stefan Weinzierls Buch „Beethovens Konzerträume“, für das er die Säle, soweit noch vorhanden, akustisch vermessen oder per Computer in einem aufwändigen Verfahren hochgerechnet hat. Zum Vergleich: Die Lautstärke einer einzelnen Violine, gespielt auf der grünen Wiese, steigt im Musikverein um den Faktor 2,2. Im Eroica-Saal aber um 6,8 und in der Akademie der Wissenschaften gar um 7,1. Ich wollte einfach praktisch herausfinden, wie es damals dort geklungen haben kann. Mittlerweile hat sich eine spannende Zusammenarbeit mit der Wiener Musikwissenschaft ergeben, da sind Birgit Lodes (Universität,Anm.) und Markus Grassl (Musikuniversität, Anm.)unsere Partner, und es entwickeln sich Nachfolgeprojekte. Für mich als Dirigent ist es der dritte Zyklus der Beethoven-Symphonien, von etlichen zusätzlichen Einzelaufführungen abgesehen – und ich habe noch nie so viel dazugelernt wie bei diesem Projekt. Für uns Organisten sind historische Instrumente Lehrer wie Menschen auch. Mit Beethovens Konzertsälen ist es genauso. Viele haben gesagt, dort könne man gar nicht spielen, zum Beispiel im akustisch ganz trockenen Theater in der Josefstadt. Unsere Aufnahme von dort ist aber ungeheuer plastisch und tiefenscharf geworden.

Das Kärntnertortheater existiert nicht mehr, sie spielen die Neunte im Redoutensaal der Hofburg, wo Beethoven das Konzert am 23.Mai 1824, etwa zwei Wochen nach der Uraufführung, wiederholt hat.

Wir wissen, dass das Orchesterpodium zwei zusätzliche Stufen hatte und bauen das nach. Der Chor stand davor beziehungsweise rundherum auf dem Boden des Saals, aus der Zahl der Sessel und Bänke lässt sich auf 80 Mitglieder schließen, wobei der Chorus sine nomine sicher besser singen wird als der Chor damals. Die Solisten stehen vor dem Orchester. Und da Beethoven 14 erste Geigen verlangt hat, können wir auf die Streicherbesetzung schließen. Aus dem verbleibenden Platz leite ich eine einfache, keine verdoppelte Bläserbesetzung ab. Will man Beethovens Metronomangaben und die vielen Sforzati ernst nehmen, ist das auch musikalisch günstiger.

Was bedeutet es, Beethovens Tempi ernst zu nehmen?

Ich habe darüber schon mit Ernst Krenek viel diskutiert. Die von Beethoven für die Symphonien eins bis acht nachträglich angegebenen Metronomzahlen sind für mich typische Schreibtischtempi, die schneller sind als bei realen Aufführungen. An einen wirklichen Irrtum glaube ich nur beim dritten Satz der Neunten, abwechselnd Adagio molto und Andante moderato. Da steht „Viertel= 60“ und dann „Viertel= 63“: fast kein Unterschied und musikalisch widersinnig. Ich kann es nicht beweisen, aber es sollte im Adagio wohl Achtel= 60 lauten. In Matthesons Tempolehre wird alles auf Viertel dirigiert, nur das Adagio auf Achtel, und Beethoven gibt auch seine anderen Adagiotempi mit Achtelwerten an. Es bekommt dadurch einen ganz getragenen Charakter, fast an der Grenze des Machbaren. Bernstein zum Beispiel hat das seinerzeit mit den Wiener Philharmonikern wunderschön gemacht und zwei Welten entstehen lassen. Ich stehe zu dieser Ansicht. Die anderen Tempi der Neunten sind gar nicht extrem und ergeben sich über Proportionen ganz natürlich.

Sie haben Mattheson erwähnt: Gibt es einen rhetorischen Schlüssel für die Neunte?

Der erste Satz ist ein Exordium, eine Art von Doppelpunkt: Für mich erzählt er keine eigenständige Geschichte, sondern gibt die Grundstimmung vor. Da ist vieles archaisch, die leeren Quinten etwa, die barocken Vorhalte und Seufzer. Dann kommt das Scherzo, eine scheinbar bekannte Tanzform, aber ganz wild, mit großer Ausdehnung und verstörenden Elementen, etwa den Offbeat-Akzenten der Pauken. Vielleicht der Satz mit der meisten Nachwirkung, bei Schubert zum Beispiel, noch mehr bei Bruckner. Das Adagio markiert dann mit seiner Dialogstruktur aus zwei gegensätzlichen, aber dann verbundenen Ebenen das Drehmoment der Symphonie: Darauf kann nur noch etwas Neues folgen. Zuerst bricht das Inferno herein, dann wird es futuristisch und „unerhört“ mit dem Auftritt der Vokalisten. Das Stück entwickelt sich immer mehr zur Narratio, schließlich bricht es die Form der Instrumentalerzählung auf, formuliert eine abstrakte Idee und geht dabei ins Opernhafte. Wobei Oper für Beethoven nicht dasselbe ist wie für herkömmliche Komponisten.

Wie groß ist die organisatorische Herausforderung von „Re-Sound Beethoven“?

Die Originalsäle werden von verschiedenen Institutionen verwaltet, die Zusammenarbeit funktioniert nicht überall so gut wie mit der Akademie der Wissenschaften, dem Landhaussaal und dem Palais Lobkowitz. Als Beethoven damals nach der Uraufführung der Neunten Symphonie die Kassenabrechnung sah, ist er buchstäblich zusammengebrochen. Ich kann diese Szene nun immer besser verstehen.

Aufführungen: Großer Redoutensaal der Hofburg, Sa, 26. und So, 27.9., 19.30 Uhr; Benefizmatinee für das Rote Kreuz zur Hilfe von Menschen in Not: So, 11 Uhr. Chorus sine nomine (Leitung: Johannes Hiemetsberger), Orchester Wiener Akademie, Dirigent: Martin Haselböck. Solisten: Laura Aikin, Michaela Selinger, Steve Davislim, José Antonio López. Jeweils eine Stunde vorher: Einführungsvortrag von Stefan Weinzierl.

Bereits auf CD: „Re-Sound Beethoven“ – Symphonien 1& 2 (Alpha 470).

ZUR PERSON

Martin Haselböck, geb. 1954 in Wien, Organist, Dirigent, Komponist. Gründer und Leiter des freischaffenden Orchesters Wiener Akademie auf historischen Instrumenten, gemeinsamer Zyklus im Musikverein. Daneben Sonderprojekte, etwa Bühnen- und Kinoversion von Michael Sturmingers „Giacomo Variations“ mit John Malkovich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.09.2015)

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