Der Teufel sucht uns in allen Etablissements zu umgarnen

Vertonungen des Faust-Stoffes begegnen uns auf CD, im Internet und demnächst in Wien und Salzburg in Oper und Konzert.

„Wenn die Franzosen nur erst einmal der Helena gewahr werden“, prophezeite Goethe kurz vor der Veröffentlichung des Helena-Akts aus „Faust II“, damals noch als „Zwischenspiel zu Faust“ – und die Franzosen entdeckten den ganzen „Faust“ –, dann werden sie ihn, wie der Dichter vorhersah, auf ihre Weise deuten. Hector Berlioz hatte seine „Acht Szenen“ aus dem „Faust“ schon in der Urfassung an Goethe geschickt, dessen Berater Zelter entsetzt war, weshalb sich der Dichter mit einem Kommentar zurückhielt. Später amalgamierte Berlioz die Fragmente zur abendfüllenden „Damnation de Faust“ (zu sehen übrigens ab 8. Dezember mit Jonas Kaufmann in der Pariser Opéra Bastille).

Das blieb eine der originellsten Anverwandlungen von Goethes Drama; nicht nur, weil Berlioz die erste Szene kurzerhand nach Ungarn verlegte, um seine brillante Orchestrierung des Rákoczy-Marsches einbauen zu können.

Gegen eine solche „Faust“-Adaption hat nicht einmal Richard Strauss mobil gemacht, denn für ihn war der Instrumentations-Hexenmeister Berlioz als Vorläufer der „Neudeutschen“ um Franz Liszt sakrosankt. Apropos: Liszt schrieb nicht nur zwei „Episoden aus Lenaus Faust“, deren zweite, der „Mephisto-Walzer“ zum Zugstück wurde, sondern auch frei nach Goethe eine Programmsymphonie in drei Sätzen, die Charakterbilder der Hauptgestalten des Dramas entwirft. Wobei der abschließende Mephisto-Satz ein virtuos komponiertes Zerrbild des einleitenden Faust-Satzes darstellt. Gretchen träumt mittendrin ein poetisches Adagio.

Den Schlusschor aus „Faust II“ mit Tenorsolo fügte Liszt später hinzu. Von diesem Werk (und den beiden Lenau-Szenen) existiert eine hinreißende, hoch dramatische Aufnahme durch das Orchestre de la Suisse romande unter Ernest Ansermet (Decca).

In Frankreich arbeitete derweilen Charles Gounod an einer „Faust“-Oper, die von den deutschsprachigen Kommentatoren allerdings scheel angeschaut wurde. Sie kam 1859 als Opéra Comique mit gesprochenen Dialogen heraus und wurde zehn Jahre später, um eine Balletteinlage und einige Arien – darunter die Serenade des Mephisto und Valentins schmachtendes Gebet – bereichert, zur großen Oper umgestaltet. Als solche eroberte sie die Bühnen der Welt. Auch die deutschen, allerdings unter dem Decknamen „Margarethe“. Erst in jüngster Zeit darf sie sich „Faust“ nennen – demnächst auch bei den Salzburger Festspielen...

An der New Yorker Met genießt der Gounod'sche „Faust“ bis heute Kultstatus, denn mit diesem Werk wurde die alte Met einst eröffnet, es zählt zu den meistgespielten Opern in New York. Einen der vielen Livemitschnitte halten Melomanen in höchsten Ehren: 1949 gelang Giuseppe di Stefano in der Cavatine im dritten Akt ein vokales Meisterstück: Das hohe C erklingt strahlend schön und sicher – und wird aus dem Forte subtil ins Pianissimo diminuiert (auf diversen CD-Produktionen enthalten).


Mephisto und religiöse Eiferer. Traurige Geschichte schrieb jüngst – über Umwege – eine legendäre Interpretation des Mephisto. Fedor Schaljapin zählt die Gounod-Partie zu seinen Leibrollen, weshalb man in St. Petersburg am Wohnhaus des Sängers eine Erinnerungsplakette anbrachte, die ihn just in dieser Gestalt zeigt. Vor Kurzem haben religiöse Eiferer dieses Denkmal zerstört. Der Teufel dürfe nicht abgebildet werden. Ob die Attentäter wussten, wer Schaljapin war? Oder Goethe?

Acht Szenen aus dem „Faust“ hat – wie Berlioz – auch Robert Schumann in Musik gesetzt. Dieses „Oratorium“ kommt demnächst wieder einmal im Wiener Konzerthaus zur Aufführung; mit illustren Solisten wie Christiane Karg als Gretchen und Christian Gerhaher als Faust. Dirigent ist Daniel Harding, der das selten gespielte Werk in ähnlicher Besetzung vor nicht allzu langer Zeit auch in der Berliner Philharmonie zur Diskussion gestellt hat (online abrufbar unter www.digitalconcerthall.com).

Den gesamten, rätselhaften Schlussteil des „Faust II“ hat übrigens nach Schumann auch Gustav Mahler in den Konzertsaal geholt: als Finale seiner Achten Symphonie. Aber zurück zu den Franzosen: Thomas' „Mignon“ zeigt man derzeit nicht in unseren Breiten, aber „Werther“ von Massenet kehrt kommenden Mittwoch in sein „Geburtshaus“, die Staatsoper, zurück: mit Elīna Garanča als Charlotte.

CD und DVD

„Werther“ mit Garanča. DVD des Premierenmitschnitts (Arthaus).

Liszts „Faustsinfonie“, dirigiert von Ernest Ansermet(Decca).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.11.2015)

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