"Psalmensymphonie" und Abrechnung mit Stalin

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Philharmonisches Konzert mit Strawinsky und Schostakowitsch.

Natürlich ist es ein Triumph, in dem Schostakowitschs Zehnte Symphonie endet – noch dazu mit den Initialen des Komponisten als Motiv (d-es-c-h), das zuletzt die Pauken donnernd herausstellen. Den exaltierten Teil des Publikums reißt das zu sofortigem lauten Jubel hin. Den Nachdenklicheren stecken noch Ingrimm, Grauen und Groteske in den Knochen, die in der vorangegangenen Stunde weit überwogen haben. Und auch im Freudentaumel des Finales zittert neben der alten Bedrohung noch der Trotz eines Menschen nach, der überlebt hat, überleben durfte – im Gegensatz zu Millionen anderen.

Schostakowitschs Zehnte, 1953 nach Stalins Tod entstanden, ist ein privates symphonisches Seelengemälde und dokumentiert zugleich die Schrecken des Stalinismus. Steht Mariss Jansons am Pult der Philharmoniker, dann fließt entsprechend viel Herzblut – also klanggesättigte Intensität – in die Interpretation. Ausdruck rangiert über striktem Reglement. Das mag dazu führen, dass schon der Höhepunkt des unheilschwangeren Stirnsatzes fast zu monumental aufgetürmt wird, macht sich aber doch weitgehend bezahlt. So in der bruitistischen Kraft des Scherzos, in dem das zerstörerische Böse als perfide Fratze vom Podium grinst. Oder in der lauernden Ungewissheit des Allegretto mit seinen fast frivol anmutenden Zerstreuungen, aber auch lyrischen Verheißungen von Horn und Streichern.

Bei der „Psalmensymphonie“ mit dem mächtig, doch differenziert tönenden Wiener Singverein war man dagegen auf emotional gesichertem Boden: Strawinskys hintersinnige Komposition entfaltete unter Jansons ihren ganzen bewegenden Reiz. Herzlicher Jubel. (wawe)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.11.2015)

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