Musikverein: Die verliebten Philharmoniker

(c) Clemens Fabry
  • Drucken

Wenn Christian Thielemann dirigiert, überwindet Wiens Meisterorchester alle Hemmschwellen und gibt sein Bestes.

Es ist eine Liebesgeschichte. Für keinen Dirigenten haben die Wiener Philharmoniker in den vergangenen Jahren mit solcher Inbrunst, mit einem solchen Totaleinsatz Musik gemacht wie für Christian Thielemann. Nach besonders geglückten Passagen kann man alte Musikanten-Haudegen mit dem Mann am Pult kokettieren sehen; und die Ausbeute an überwältigend klanglichem Schönheitsergebnis ist bei einem von Thielemann geleiteten Abonnementkonzert so reich wie einstens bei Karl Böhm oder Herbert von Karajan.

So viel zur nicht eben allsonntäglichen Tatsache, dass das Publikum den Maestro noch dreimal herausklatscht und jubelt, wenn die Philharmoniker bereits in der Garderobe gelandet sind. Es ist tatsächlich außerordentlich, was man da zu hören bekommt. Auch wenn das Programm zum Teil aus Musik besteht, die man mit dem Namen des Wagner- und Richard-Strauss-Apostels Thielemann nicht sogleich assoziiert.

Tschaikowskys „Pathétique“ bildete diesmal den zweiten Teil der Matinee. Und man korrigiert sich sofort selbst, wenn man zur Pause festgestellt haben sollte, dass Musik von Weber (die „Oberon“-Ouvertüre) und Franz Liszt (das A-Dur-Klavierkonzert mit Yefim Bronfman) zum Kernrepertoire dieses Künstlers gehört. Es ist wohl weniger die deutsche Romantik als die Romantik schlechthin, auf die sich Christian Thielemann versteht wie kaum ein Zweiter. In allen drei Fällen atmet das Spiel der Philharmoniker vom ersten Ton an Atmosphäre, Spannung – ob der wie von ferne erklingende Hornton und die behutsam antwortenden Streicher bei Weber, die pastelligen Holzbläserharmonien bei Liszt oder das hoch expressive Fagottsolo bei Tschaikowsky.

Sentiment, nicht Sentimentalität

Der Spannungsbogen reißt nie ab, auch nicht im mehr als 20 Minuten dauernden, in einem großen Atemzug entworfenen Klavierkonzert, in dem Bronfman (von einem minimalen Aussetzer abgesehen makellos und auch in den Oktavenpassagen treffsicher) den philharmonischen Tonfall sensibel aufzunehmen weiß: Sentiment, aber niemals Sentimentalität ist Trumpf.

Wie im zweiten Satz der „Pathétique“ die Celli, dann die Holzbläser die aparten Fünfvierteltakt-Phrasen über alle Taktstriche hinweg modellieren, wie im Stirnsatz gewaltige Emotionen laut, aber nie zu laut werden, wie das dichteste Gefüge ineinander verschlungener Stimmen immer durchhörbar bleibt, das gehört zu den technischen Meisterleistungen dieser Interpretengemeinschaft – das sind die Dinge, die sich objektivierbar benennen lassen. Der Rest ist nicht zu beschreiben. Das Publikum im großen Musikvereinssaal weiß all das zu genießen – und richtig einzuordnen. Einem Dirigenten wie Thielemann dankt man für das, was man in der Rückschau Sternstunden nennt . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.12.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.