Berlin: Liebe und Tod vor dem Spiegel

Dramatisch, aber stimmlich nicht ganz perfekt: Sonya Yoncheva als Violetta.
Dramatisch, aber stimmlich nicht ganz perfekt: Sonya Yoncheva als Violetta.(c) cStaatsoper Unter den Linden/Bernd Uhlig
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An der Berliner Staatsoper Unter den Linden deutet Dieter Dorn Verdis „La Traviata“ als Traum.

Noch ist kein Ton erklungen, und schon findet man sich mitten im Stück. Mehr noch: Man weiß auch schon um seinen tragischen Ausgang. Damit konfrontiert die neue „Traviata“ in der weiterhin in ihrem Ausweichquartier, dem Schillertheater, beheimateten Berliner Staatsoper Unter den Linden. Während man auf die ersten Takte der Musik wartet, tritt unvermutet aus einem Spalt des Vorhangs eine Frau, in der man bald Violettas Vertraute und Dienerin Annina erkennt. Sie legt einen Strauß weißer Blumen auf den Souffleurkasten, der damit zum Synonym für einen Grabstein wird.

Dann beginnt die Musik. Der Vorhang wird zur Seite geschoben und gibt den Blick frei auf das diese Produktion dominierende Bühnenbild von Joanna Piestrzyňska: ein schwarz ausgelegtes Bühnenrund mit einem Spiegel in der Mitte, an dessen oberer linken Ecke eine Sanduhr befestigt ist. Vor diesem Spiegel finden sich sieben Tänzerinnen und Tänzer zu einer Totenkopfskulptur verschränkt. Davor: ein kleiner Tisch und die ihr bisheriges Leben einsam im Traum reflektierende Violetta. Ein starker Beginn.

Kurtisane als willfähriges Werkzeug

„Amore et morte“ wollte Verdi seine „Traviata“ ursprünglich nennen. Aus diesem Spannungsfeld von Liebe und Tod und der Perspektive der Violetta erzählt Dieter Dorn diese Geschichte der von der Gesellschaft nie wirklich ernst genommenen, geschweige denn geliebten, meist nur als willfähriges Werkzeug benutzten Kurtisane. Selbst angesichts ihres nahen Todes muss sie miterleben, wie ihr die Männer den Rücken kehren, sie in den schwersten, den letzten Minuten ihres Lebens allein lassen.

Das Bild einer Gesellschaft, in der Frauen stets im Schatten der Männer bleiben mussten, wird in Verdis Libretto zwar thematisiert, in dieser Schärfe aber selten so deutlich wie bei Dorn. Selbstredend, dass in einem solchen Umfeld für wirkliche Liebe kaum Platz ist. Auch das macht diese Inszenierung deutlich, die die Protagonisten scharf charakterisiert, ihre Beziehungen klar herausarbeitet. Mit der Anfangspointe zeigt Dorn unmissverständlich auf, dass Violetta nach ihrem Tod nur in der Erinnerung ihrer Vertrauten Annina weiterleben wird, während ihre einstigen Liebhaber längst auf der Suche nach neuen sexuellen Eroberungen sind.

Schade, dass diese durchdachte Regie keine vollständige musikalische Entsprechung findet. Vor allem die männlichen Hauptpartien ließen bei der freundlich akklamierten Premiere ziemlich aus. Der junge Abdellah Lasri präsentierte sich als wenig kultivierter, schlampig phrasierender Alfredo, wartete kaum je mit dem geforderten Glanz auf. Simone Piazzolas auch gestisch etwas unbeholfenem Giorgio Germont fehlte es an profunder Tiefe. Cristina Damian schlug als Flora schrille Töne an. Untadelig Katharina Kammerloher als Annina, nur solide, nicht weiter auffallend die übrige Besetzung.

Ihnen allen legte Generalmusikdirektor Daniel Barenboim, der erwartungsgemäß auf meist ausführliche Tempi setzte, am Pult des gut studierten Orchesters einen einfühlsamen, meist spannungsreichen Teppich. Mit seiner differenzierten Dynamik sorgte er dafür, dass weder die Protagonisten noch die sich immer wieder zu einprägsamen Bildern fügenden Choristen (Einstudierung: Martin Wright) zum Forcieren gezwungen wurden.

Die Sensation der Produktion hätte die Interpretin der Titelpartie sein können: Die junge Bulgarin Sonya Yoncheva, die auch schon an der Met als Violetta reüssiert hat, kann berühren und Dramatik entfachen, hat auch ein untrügliches Gespür für Bühnenpräsenz. Um voll zu überzeugen, hätte es aber mehr an stimmlicher Perfektion, an überlegtem Ausdruck, aber auch an Phrasierungsintelligenz bedurft. Zuweilen hatte man den Eindruck, dass sie sich nicht nur technisch, sondern vor allem musikalisch den Herausforderungen dieser anspruchsvollen Aufgabe noch nicht ganz gewachsen fühlte.

Oder lag es am Premierenfieber, dass sich neben perfekt gelungenen Phrasen immer wieder Ungenauigkeiten einschlichen, dass manche Höhe nur mit Anstrengung erklommen wurde? Trotzdem: Ihren Namen sollte man sich merken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2015)

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