Staatsoper: „Fatima“, des Traumfresserchens zweiter Teil

Auch die gefangene Kuh darf wieder auf die Weide, weil Fatima (Andrea Carroll) sie befreit.
Auch die gefangene Kuh darf wieder auf die Weide, weil Fatima (Andrea Carroll) sie befreit. (c) Staatsoper/Michael Pöhn
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Kinderoper, endlich wieder im großen Opernhaus am Ring. Helle Begeisterung über ein ebenso poetisches wie optimistisches Märchen von Rafik Schami in der musikalischen Einkleidung durch die Komponistin Johanna Doderer.

Die Wiener Staatsoper erreicht seit der Übersiedlung ihrer Kindervorstellungen aus dem Zelt auf dem Dach ins Theater in der Walfischgasse mehr Jugendliche denn je mit spezifischen Projekten. Allzu selten gelingt es hingegen, die kleinsten Opernbesucher dorthin zu bringen, wo sie eigentlich mit dem Musikvirus infiziert werden sollten: ins große Haus, in die „richtige“ Oper.

Dort fängt man am schnellsten Feuer. So viel steht fest. Der Moment, in dem das Licht ausgeht, nachdem die Instrumente gestimmt wurden, der Augenblick, in dem der Dirigent erscheint, das Vorspiel beginnt, der Vorhang sich hebt – das alles ist nicht durch Ersatzvornahmen in Kleintheatern oder gar Zelten zu ersetzen. Im Logenrund beginnt die Zauberei. Und wenn es dann ein Märchenspiel ist mit allen Ungereimtheiten und allem, was die Fantasie des Zuschauers sich dazu selbst ergänzen kann, darf und soll, dann stimmt die Sache vollends.

Tatsächlich kann das Faszinosum des alten Guckkastentheaters durch nichts ersetzt werden. Und es zeigt sich, dass auch das jüngste Publikum mit staunenden Gesichtern das Spektakel verfolgt und keinen Moment unruhig zu werden droht. Johlende Begeisterung grüßt nach einer spannenden Stunde dann die Ausführenden – und diesfalls auch die Komponistin.

Wieder müssen die Träume herhalten

Die Staatsoper hat eine Uraufführung herausgebracht: „Fatima. Oder: von den mutigen Kindern“, nach einer Erzählung von Rafik Schami, von René Zisterer zu einem Libretto verarbeitet, in Musik gesetzt von Johanna Doderer. Die Übung gelang. Im märchenbuchtauglichen Bühnenbild von Jan Meier spielt man die Geschichte der wackeren Fatima, die zwar erst zwölf Jahre alt ist, ihren älteren Bruder aber um Längen an Raffinement und Durchsetzungsfähigkeit schlägt.

Hassan war nämlich ausgezogen, um für Mutter und Schwester den rettenden „Sternenstaub“ zu erwerben, der die Familie vor dem Verhungern schützen könnte. Er verdingt sich bei einem Schlossherrn, der ihm ein Goldstück verspricht, wenn er sich eine Woche lang nicht ärgert, auch wenn er qualvolle Dienste tun muss. Andernfalls verliert er seine Träume, die der Schlossherr verspeisen will. Der ganze Keller des Schlosses ist bereits voll mit Traum-Nahrung, womit die Staatsoper sozusagen nahtlos an ihren Langzeit-Kindererfolg „Das Traumfresserchen“ anschließen kann.

Natürlich scheitert Hassan. Aber Fatima gelingt es, schlau den bösen Alten zu überlisten, nicht sie, sondern er ist es, der erschöpft vor Ärger schließlich zusammensinkt, worauf die tapfere Heldin sämtliche Träume befreien kann, die wie Schmetterlinge herumflattern und dem jungen Publikum zurufen: Habt Mut, auch wenn ihr verzweifelt seid.

Eine Art „Fidelio“-Finale für den Nachwuchs, offenbar nicht minder effektvoll als das große Vorbild: Johlende Begeisterung ist auch dem fabelhaften Kinderchor des Hauses sicher, der hier seine große Viertelstunde hat. Johanna Doderer hat auch wirklich wirkungsvolle Musik geschrieben, ganz tonal, in heiterem Dur und traurigem Moll, mit Melodien, die man nachpfeifen kann, einigen Spitzentöne für Frauenstimmen, vor allem für die kranke Mutter der sehr ausdrucksvoll singenden Monika Bohinec, die sogleich für Echo aus dem Zuschauerraum sorgen, und einigen gar tiefen Tönen für den Schlossherrn von Sorin Coliban, die die Textverständlichkeit ein wenig beeinträchtigen, was aber durch die fleißigen Wiederholungen wettgemacht wird.

Freude über klangliche Farbenpracht

Dem Text und der Musik in ihrer repetitiven Fasslichkeit folgt man wirklich mühelos. Und, was das Wichtigste ist: Das Bühnenorchester der Wiener Staatsoper unter Benjamin Bayl musiziert herzhaft, weil die Instrumentation alle Farben nutzt, derer ein großes Orchester mächtig ist: Vom duftig durch Harfentöne aufgeputzten Streicher-Pizzicato bis zu mächtigen, von Paukentönen vorangetriebenen Steigerungen – etwa wenn die Pforte des Schlosses das erste Mal erscheint, von karikierenden Xylofontönen bis zu pfiffigen Flötengirlanden.

Das ist der Zauber der Opernmontur. Dem kann sich schon das jüngste Publikum ganz offenkundig nicht entziehen. Es dankt naturgemäß den beiden Hauptfiguren besonders enthusiastisch: Andrea Carrolls verschmitzter Fatima und Carlos Osunas zunächst forsch-fröhlichem, dann völlig verzweifeltem Hassan. Spürbare Freude herrscht auch, wenn Carol Wilson, die als alte Frau stumm durchs triste Schlossleben wandert, zuletzt mit den Träumen auch ihre Stimme wieder gewinnt.

Eitel Wonne angesichts einer Uraufführung, das hat man nicht alle Tage zu berichten. „Fatima“ hat sogleich die Herzen erobert und wird nun hoffentlich viele, viele Chancen bekommen, ansteckend zu wirken . . .

„Fatima“ von Johanna Doderer in der Staatsoper noch am 27. Dezember sowie am 2., 3. und 6. Jänner.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2015)

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