Die Frage, wie der Götterfunken zünden kann

Pablo Heras-Casado
Pablo Heras-Casado(c) pabloherascasado.com - Fernando Sancho
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Pablo Heras-Casado debütierte anlässlich der traditionellen Silvester-Aufführung von Beethovens Neunter am Pult der Wiener Symphoniker und gestaltete eine ebenso zügige wie klar strukturierte Wiedergabe.

Pablo Heras-Casado ist einer der meistbeschäftigten Dirigenten der jüngeren Generation. Spanier des Jahrgangs 1977, ist er von der New Yorker Met bis zum Teatro Real in Madrid, von Chicago Symphony bis zum Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks gern gesehener Gast. Im Wiener Konzerthaus debütierte er nun am Pult der Symphoniker anlässlich der traditionellen Silvester-Aufführung von Beethovens Neunter.

Dieses Werk ist in seinen riesenhaften Dimensionen und seiner formalen Disparatheit – halb Symphonie, halb Kantate – einer der großen Prüfsteine des klassischen Repertoires. Die Qualitäten von Heras-Casado erschließen sich dem Hörer recht schnell: Dieser Künstler weiß, worauf er hinaus will, schätzt ein transparentes, dynamisch klar abgestuftes Klangbild. Das kommt dem zerklüfteten, klanglich oft so undurchdringlich scheinenden Eingangs-Allegro der Neunten sehr zugute. Die Bläserstimmen bleiben stets klar verortbar, die Streicher auch in heftigen polyphonen Strukturen deutlich voneinander getrennt – obwohl die Sekundgeigen diesmal wieder hinter den Primgeigen zu sitzen kamen, was die akustische Unterscheidbarkeit doch nivelliert.

Deutlich und als wichtige motivische Stichwortbringerin hebt sich die Pauke ab – nicht erst in den berüchtigten Soli im Scherzo, dem Heras-Casado delirante Züge verleiht, indem er bei strikt befolgtem Molto vivace auch die meist eliminierte zweite Wiederholung spielen lässt.

Die fanatische Lust, ein einmal angeschlagenes Tempo rigoros durchzuhalten, war vielleicht dafür verantwortlich, dass dieser Aufführung doch ein wesentliches Moment abging: In peinlicher Befolgung aller technischen Vorschriften der Partitur mangelte es an dem Versuch, hie und da auch zwischen den Notenzeilen zu lesen. Zumindest die Textwahl für das Chorfinale suggeriert ja, dass es Beethoven darum ging, mit Schiller auch Transzendentes zu beschwören. „Ahnest du den Schöpfer, Welt?“, fragt die Musik wohl auch bereits in den instrumentalen Eingangssätzen, in raren lichten Augenblicken im finsteren ersten Allegro, im Trio des Scherzos, in den weiten, visionären Gesängen des Adagios, die diesmal so gar nicht visionär, aber immerhin geschmeidig liedhaft tönten.

Präzision und Humanität

Geradezu amüsant, dass Matthew Rose mit seiner ungestüm hereinbrechenden Bitte: „O Freunde, nicht diese Töne“ tatsächlich einen anderen, etwas ungeschlachten, aber geradezu um ein menschliches Maß bittenden Ton in diese Wiedergabe einbrachte: So genau muss man es vielleicht nicht immer nehmen, sinngemäß geht es darum, die Freude zu besingen, die dem Bisherigen zu fehlen schien.

Die Solistenkollegen stimmten ein, Werner Güra führte den „Held“ eher lyrisch besaitet „zum Siege“, Sophie Karthäusers Sopran schwebte sanft über den irdischen Dingen und himmlischen Ahnungen, nur drohte der „sanfte Flügel“ zuletzt ein wenig zu tief zu schwingen. Christianne Stotijn gelang es, in den Quartettpassagen hörbar zu bleiben und doch ganz harmonisch im Gesamtverband aufzugehen – womit Heras-Casados klug differenzierte Gangart auch im Vokalen ihre Entsprechung fand.

Da stand die von Heinz Ferlesch vorbereitete Singakademie nicht zurück: Auswendig singend, beschwor sie kraftvoll Brüderlichkeit und Menschheits-Umarmung. Und was „überm Sternenzelt“ zu vermuten wäre, bleibt in ganz zeitgemäßer Denkungsart jedem der zuletzt kräftig applaudierenden Hörer selbst überlassen . . . (sin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2016)

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