Gesang, der sich dem Tod nähert

Krassimira Stoyanova (Archivbild).
Krassimira Stoyanova (Archivbild).(c) APA/ROLAND SCHLAGER
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Das weite Spektrum der Gattung Lied: Krassimira Stoyanova im Musikverein, Mark Padmore im Konzerthaus.

Was ist der Tod? Und vor allem – wie ist er? Wo es keinem Mensch möglich ist, Zeugnis abzulegen, kann nur die Kunst sich an einer Antwort versuchen. Wenigen Komponisten gelang die Annäherung an den Tod so überzeugend wie Modest Mussorgski in seinen „Liedern und Tänzen des Todes“. Und wohl wenigen Vokalkünstlern gelingt eine derart fesselnde Darstellung dieses Zyklus wie der bulgarischen Sopranistin Krassimira Stoyanova am Dienstag im Wiener Musikverein.

Der Tod, er ist an diesem Abend eine Meisterin aus Bulgarien. Ganz gleich, ob er mit diabolischer Sanftheit ein Kleinkind in den ewigen Schlaf säuselt, als vermeintlicher Liebhaber mit den Worten „Du bist mein!“ von einer jungen Frau Besitz ergreift, mit einem betrunkenen Bauern den letzten Tanz in den Schnee stolpert oder als der ewig siegreiche Feldherr seine Armee der Gefallenen zählt (die Einzige, die stetig wächst) – es stockt einem immer wieder der Atem bei der Unmittelbarkeit, mit der Stoyanova hier das kaum Darstellbare auf die Bühne bringt und immer wieder an die Grenzen geht.

Zu Hilfe kommt ihr zum einen ihre vollendete Stimmbeherrschung, die ihr auch radikalste Brüche im Ausdruck erlaubt und ihr alles an mitunter drastischen Farben an die Hand gibt, was dieser Zyklus fordert; zum anderen ihre in zahllosen großen Opernpartien erprobte dramatische Gestaltungskraft, mit der sie jedes der vier Lieder zur Miniaturoper verdichtet. Diese Ausprägung der Gattung Lied lag ihr auch hörbar besser als die der kurzen Charakterstücke aus der Feder Bellinis und Respighis, die den ersten Teil dominierten. Und ihr Klavierpartner Ludmil Angelov, der vor der Pause zu verhalten agiert hat und von der Stoyanova an den Rand gesungen wurde, hat sich bei Mussorgski schließlich freigespielt.

Mark Padmores balsamischer Tenor

Wie sich eine vollendete Balance zwischen Singstimme und Klavier anhört, und wie man den atmosphärischen Gehalt noch kürzester Lieder punktgenau trifft und vermittelt, das war tags darauf exemplarisch im Konzerthaus zu erleben: Tenor Mark Padmore war mit Paul Lewis am Flügel mit einer Liedauswahl auf Texte von Heine (Schumann und Brahms) sowie Goethe (Schubert und Wolf) angetreten. Herrlich, wie Padmore seinen balsamischen Tenor über Schumanns Heine-Liederkreis Opus 24 ausgießt, und das alles noch mit großer Wortdeutlichkeit. Vor allem in der Höhe erreicht Padmore eine große Eindringlichkeit, ohne dass es jemals angestrengt klingen würde.

Zwei völlig konträre Liederabende, doch jeder auf seine Weise ein Ereignis.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.01.2016)

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