Schostakowitschs „Leningrader“ als Seelendrama

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Symbolbild.(c) APA (Herbert P. Oczeret)
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Zweiter Abend des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks im Musikverein.

Im Juni 1941 begann mit Hitlers Russlandfeldzug der „Große Vaterländische Krieg des sowjetischen Volkes“, wie die „Prawda“ sogleich titelte. Zu einem der katastrophalen Schauplätze auf russischem Boden wurde Leningrad (St. Petersburg): Von September 1941 bis Jänner 1944 war die eingekesselte Stadt Artilleriebeschuss und Luftangriffen der Wehrmacht ausgesetzt. Mehr als eine Million Opfer in der Zivilbevölkerung waren die Folge, die meisten davon sind verhungert.

Im Juli 1941 begann Dmitri Schostakowitsch, der in Leningrad lebte, seine 7. Symphonie, die sich als „Leningrader“ zu einem Bekenntniswerk entwickeln sollte – und von der sowjetischen Propagandamaschinerie sogleich ausgenützt wurde. Entstanden zum Großteil noch in der belagerten Stadt, taugte sie ideal als Symbol ungebrochenen Verteidigungswillens und eherner Siegesgewissheit.

Rein musikalisch hat sie nicht gerade den Ruf, die komplexeste unter Schostakowitschs Symphonien zu sein: Wohl mit Blick auf möglichst leichte allgemeine Verständlichkeit ist die kontrapunktische Dichte des Tonsatzes teils radikal heruntergefahren. Dafür geht das etwa 75-minütige Werk in die Breite – und steigert seine ohnehin starken instrumentalen Kräfte, indem das Blech auf acht Hörner, sechs Trompeten und sechs Posaunen nebst Tuba verdoppelt wird. Besonders der dröhnende Ingrimm des Finales mit seinem abschließenden Fortefortissimo ist berühmt und berüchtigt zugleich.

Herzblut hinter dem Stahlgewitter

So will es ein Deutungsklischee. Am Montag war dagegen beim zweiten Abend des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks unter Mariss Jansons zu erleben, wie viel Herzblut hinter all dem Stahlgewitter und Getöse von Stalinorgeln fließen kann. Gewiss, wer die Hauptaussage des Stücks in der möglichst ungeschönt klingenden Darstellung brachialer Kriegsgewalt erblickt, der mag ein bisschen enttäuscht gewesen sein. Dazu klingen die Münchener Meister – gottlob – einfach zu nobel mit ihren blühenden Streichern und dem famosen Blech. Ein paar Holzbläser-Unebenheiten, ein verpasster Schlagzeugeinsatz just in den letzten Takten? Schwamm drüber! Wichtiger war, wie Jansons aus der vermeintlichen Materialschlacht ein Seelendrama zwischen Bedrohung, Erinnerung und Hoffnung zu formen verstand – nicht etwa verweichlicht, sondern sozusagen im besten Sinn vermenschlicht, dabei präzise, spannungsreich, glühend intensiv.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.03.2016)

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