Günther Theuring, der klassische Verführer

Zum Tod des Gründers des Wiener Jeunesse-Chors, der zwei Generationen für Musik und Werte der abendländischen Kultur zu begeistern wusste und zu diesem Zweck auch die Meisterkurse ins Leben rief.

Er war ein Rattenfänger. Zwei Generationen von jungen Musikfreunden gingen ihm in die Falle. Als musikalischer Charmeur bezauberte er nicht nur die Damenwelt, sondern auch die jungen Männer: Günther Theurings Kompetenz und Überzeugungskraft in Sachen Barock, Klassik, Romantik und Moderne konnte und wollte sich keiner entziehen, der in seine Nähe kam.

Die offenkundigen Anziehungskräfte wusste er zu nutzen: Die Projekte seines Jeunesse-Chors waren Treffpunkte für Musikbegeisterte, die ihrem künstlerischen Leiter mit Hingabe folgten und sich von ihm zu allseits anerkannten, mitreißenden Leistungen verführen, ja, aufputschen ließen. Euphorie, zumindest Enthusiasmus, war jedenfalls immer im Spiel, schon bei den Proben, während derer der fanatische Gestalter den ebenso fanatischen Laien, die da unter seiner Leitung sangen, bewies, zu welchen Höhen (in jeder Bedeutung des Wortes) sich auch unausgebildete Stimmen aufschwingen können. Die Ergebnisse machten die Konzerte mit dem Jeunesse-Chor dann für die Mitwirkenden wie für die Zuhörer stets zu besonderen Erlebnissen.

Günther Theuring hat, wiewohl 1930 in Paris geboren, eine durch und durch wienerisch grundierte Karriere gemacht. Als Absolvent der legendären Klassen von Hans Swarowsky und Ferdinand Grossmann hat er das Kapellmeisterhandwerk in beiderlei Gestalt, als Orchester- und Chordirigient, von der Pike auf gelernt.

Dass er zu einem international renommierten Chorleiter wurde, verdankte der ehemalige Sängerknabe der Initiative Ferdinand Grossmanns, der ihm 1955 seinen Akademie-Kammerchor anvertraute. So begann die praktische Arbeit des fertig ausgebildeten Künstlers an jenem Haus, an dem er studiert hatte. Mit jungen Menschen wollte er hinfort konsequent Musik machen – die Gründung des Jeunesse-Chors war 1959 also eine logische Tat. Sie zeitigte reiche Früchte, bedeutende Interpreten holten den jugendlich-engagierten Chor, wenn es um heikle Aufgaben ging; und 15 Jahre nach der Gründung war ein Vertrag unterschriftsreif, der wohl den Höhepunkt in der Geschichte der Sängervereinigung markierte: Leonard Bernstein ging Mitte der Siebzigerjahre daran, sein gesamtes vokalsymphonisches Schaffen mit dem Jeunesse-Chor auf Schallplatte zu verewigen. Gemeinsam präsentierte man die Werke auch auf Tournee – sie führte Theurings Getreue auf eine unvergessliche Reise von den Salzburger Festspielen bis nach Japan.

Ein Leben für den Klassiknachwuchs

Der Arbeit mit dem Nachwuchs hat sich Günther Theuring, der als Dirigent für große Choraufgaben wie Mahlers Achte Symphonie oder Oratorien von Händel, Schubert oder Mendelssohn an Häuser wie die Mailänder Scala oder das Leipziger Gewandhaus gerufen wurde, mit Haut und Haar verschrieben. Auch nach Beendigung seiner Tätigkeit für den Chor. Er gründete die Wiener Meisterkurse und wachte bis zuletzt darüber, dass die aus aller Welt herbeiströmenden Studenten hier tatsächlich fanden, was sie suchten: Anschluss an die legendäre wienerische Musiziertradition. Diese war für ihn kein leerer Wahn. Er betrachtete sie spürbar lebenslang als hohen Auftrag.

Am 22. März ist Günther Theuring im 86. Lebensjahr gestorben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2016)

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