So musikalisch wie ein Stück Holz

Reuters
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Zwischen Patenten von 1880 und dem selbstspielenden Flügel von 2016: Anekdoten, Holzerfahrung und Gehörexpertise. Ein Besuch bei Steinway in Hamburg.

"Glenn Gould war extrem schwierig. Total unlogisch." Sein Flügel sei schon komplett verstellt gewesen, dennoch habe es damit Plattenaufnahmen gegeben "für uns war das natürlich sehr peinlich. Irgendwann hat er sich zum Stimmen überreden lassen, danach hat er den Flügel aber nicht mehr verwendet. Gould war einfach immer total in sich versunken, er hat ja auch gegrunzt während der Aufnahmen." Beim 1880 gegründeten Klavierhersteller Steinway hat man Erfahrung mit eigenwilligen Pianisten, ebenso wie mit individuellen Spielweisen von eher flachhändig und mit ausgestreckten Fingern im Fall Vladimir Horowitz bis hin zu Arthur Rubinstein, der mit deutlich gekrümmten Fingern gespielt haben soll, also auch eine andere Intonation seines Steinway-Flügels benötigt hat. Über die Spleens lebender Künstler gibt man freilich keinerlei Auskünfte sagt nur elegant so viel: "Die meisten Pianisten durchleben Zyklen, schwierige und einfache." Die Wall of Fame im Hauptquartier am Stadtrand Hamburgs zeigt, wer zur Steinway-"Familie" gehört. Die Weltstars aufzuzählen ist jedoch müßig, stellt sich doch eher die Frage: Wer nicht? 90Prozent der Konzertsäle weltweit sind mit Steinway-Flügeln bestückt, das restliche Segment teilt sich Bösendorfer (gegründet 1828 in Wien, heute im Besitz von Yamaha) mit wenigen anderen Produzenten.

Konkurrent Küche. "Wir haben ein Produkt, das ewig hält, es ist furchtbar!", sagt man bei Steinway nicht ohne ein distinguiertes Augenzwinkern. 90 Händler sind es in Europa, "nur in Bosnien und Albanien haben wir noch keinen". Russland sei bis 2015 der am schnellsten wachsende Markt gewesen, während in Österreich, Deutschland und der Schweiz ein gewisser Sättigungsgrad zu verzeichnen sei. Was sich mit dem jüngsten Wurf, dem kürzlich präsentierten selbstspielenden "Spirio" wiederum ändern könnte. Die Konkurrenz für den Klaviermarkt generell ist das Digitalpiano. Dieses sei mit seinem weniger befriedigenden Klangerlebnis auch daran schuld, dass die Absprungrate im Klavierunterricht heute deutlich höher sei, mutmaßt man bei Steinway. Konkurrenz für den Hamburger Klavierhersteller sind freilich weniger andere Instrumentenbauer als vielmehr Autos oder Häuser: "Kaufe ich mir einen Steinway oder eine neue Küche?", formuliert es Thomas Reyes, für Marketing und Sales zuständig.
Von der Lagerung der Hölzer bis hin zur endgültigen Auswahl der Flügel etwa für die Elbphilharmonie, übrigens durch die Pianistin Mitsuko Uchida, findet fast alles hier im Stadtteil Bahrenfeld statt; nur ein deutscher Klaviaturhersteller und eine Gießerei aus Ohio liefern zu. 12.000 Einzelteile sind es am Ende pro Flügel. In einer Halle lagern meterlange Balken aus verschiedenen Hölzern, deren Eigenschaften für die einzelnen Klavierteile sehr bewusst eingesetzt werden. Zwei Jahre trocknen hier etwa Ahornholz, das für Gehäuse und Mechanikteile verwendet wird, und Sitka-Fichte aus Alaska. Diese weist aufgrund
der kurzen Wachstumsphasen besonders viele Jahresringe pro Zentimeter auf, sorgt mit dieser Dichte für einen speziellen Klang und wird für den Resonanzboden verwendet. "Der teuerste Teil des Klaviers", sagt Thomas Reyes, "achtzig Prozent Verschnitt!" Manche Hölzer muss man aus den Tropen beziehen, etwa Sapeli-Mahagoni, da man sieben Meter ohne Astloch benötigt, "solche Bäume gibt es bei uns einfach nicht". Ein Astloch wäre für den Schall wie ein Schlagloch auf der Straße für ein Auto. Die Flügel werden von außen nach innen gebaut. Zuerst wird der Rahmen aus insgesamt 20 Laminatschichten geleimt und gepresst, nach einem Patent von 1880, danach werden Teile wie der Resonanzboden eingebaut. Obwohl 90 Prozent der Flügel schwarz lackiert das Haus verlassen, können je nach Kundenwunsch der Rahmen wie auch das gesamte Gehäuse mit speziellen Hölzern furniert werden. "In den 1960er-Jahren war Mahagoni sehr beliebt, in Bayern Eiche rustikal. In Asian und Osteuropa sind heute extravagante Hölzer gefragt, wie weißes Ebenholz und Makassa.

Feinschliff. In einem der letzten Produktionsschritte werden die 8000 Teile der Klaviatur und Mechanik eingebaut, etwa die Tasten, die seit 1989 nicht mehr aus Elfenbein sind, sondern aus Acryl. Die Flügel gehen dann zum ersten Mal zum Stimmen, also dem Einrichten der Tonhöhe, sowie zum Intonieren, dem Justieren der Klangfarbe. Danach wird mit einer Einpaukmaschine, die alle Tasten automatisch anschlägt, in einem schallgedämpften Raum dieser erste tonale Feinschliff gleichsam wieder zerstört "das ist sozusagen die Teststrecke für die Klaviere". Wiebke Wunsdorf, seit 1979 bei Steinway und seit 2012 Chefintoneurin, obliegt die Endabnahme jedes einzelnen Flügels. Sie widmet sich jedem Klavier etwa eine Stunde, hochkonzentriert. Wunsdorf bearbeitet gegebenenfalls den Filz der Hämmerköpfe mit Nadeln, um das Schwingen zu beeinflussen. Sie muss jene Tasten aufspüren, deren Töne aus der Reihe tanzen. "Meistens geht es da um Schärfe." Gleichzeitig darf das Klangbild aber nicht zu weich, zu kraftlos werden, "sonst ist es kein Steinway mehr". Die Klangfarbe jedes Instruments muss in sich stimmen; es ist weniger das Ziel, jeden Steinway absolut ident klingen zu lassen "das ginge auch gar nicht, es sind ja alles Naturmaterialien".

("Kultur Magazin", 15.04.2016)

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