Mit Wokalek und Heltau im Chor der Herzenstöne

Musikverein. Der Wiener Singverein unter Johannes Prinz gestaltete einen Abend der musikalisch-literarischen Liebesbeziehungen.

„Das nennt man die Liebe“, lautet das Resümee des selbstgerechten Schwerenöters in Hermann Bahrs „Konzert“, das Michael Heltau mit unvergleichlichem Ton zog: Wenn sich so ein Flirt nämlich quasi von selbst abwickelt, „ganz mechanisch, wie bei einem selbstspielenden Klavier“, und man gar nichts dafür kann . . . Stehen freilich hundert Menschen auf der Bühne und wachsen durch ihre Begeisterung für das Singen musikalisch zusammen, dann darf man das getrost die Liebe nennen. Denn der 1858 gegründete Singverein der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ist als Amateurchor schon vom Wortsinn her eine Vereinigung von Liebhabern. Sonst auf die großen Werke für Chor und Orchester abonniert und damit daheim im Goldenen Saal ebenso wie international erfolgreich, stand er nun wieder einmal als „Solist“ auf dem Podium, dirigiert vom eigenen künstlerischen Leiter, Johannes Prinz. Mit ihm ist der Klangkörper vor 25 Jahren zum aktuellen Höhenflug gestartet: Grund zum Feiern mit einem außergewöhnlichen Konzert.

„Herzgedanken. A cappella con amore“ hieß das von Joachim Reiber, selbst Singverein-Mitglied, dramaturgisch betreute Programm: eine feinfühlig-beziehungsreiche Reise durch das Reich der Beziehungen, klangvoll, subtil schattiert, mit Hingabe dargeboten. Chorwerke vor allem des 19. und 20. Jahrhunderts, etwa Blüte um Blüte hervorbrechend bei Wagner („Träume“), zärtlich schmeichelnd bei Debussy, mit strahlender Kraft bei Pizzetti, griffen ineinander mit Einblicken in Briefwechsel (zwischen Brahms und Clara Schumann, Wagner und der Wesendonck, Mahler und seiner „Almschi“), mit Prosa und Theaterszenen.

Bespiegelt Michael Heltau souverän Wiener Männerseelen von Gustl (Schnitzlers dummer Leutnant) bis Gustav (Bahrs alternder Pianist im „Konzert“) und erschafft dabei aus Worten und Sprachmelodien im Nu konkrete Figuren, dann ist das zugleich tiefgründig schillernde Musik. Dagegen intoniert Johanna Wokalek an seiner Seite etwas unidiomatisch hart, vor allem in Hofmannsthals „Schwierigem“, sie wirkt stärker mit den Rätseln von Ingeborg Bachmanns „Undine geht“.

Mittendrin eine Novität von Wolfram Wagner: die vokale Fantasie „verirrt“. Rhapsodische Klangkaskaden und Orff'sches Treiben vom Klavier (Clemens Zeilinger), geschmeidig aus dem Chorklang hervorwachsende und wieder mit ihm verschmelzende Klarinetten (Vienna Ebony Quartet), rhythmische Prägnanz und mächtige Unisoni der Singstimmen: Jubel, für diesen Strudel der Gefühle wie den ganzen Abend.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.04.2016)

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